AW: Rechnung von Probenfieber
Mal zum Vergleich, um die Abstrusität der Ausreden darzustellen, mit der man in Deutschland bei Delikten aus der Wirtschaftskriminalität sich vor einer Anklage retten kann.
Nehmen wir mal einen fiktiven Fall A) aus der konventionellen Raub-Kriminalität, und B) einen realen Fall aus der Inkasso-Wirtschaftskriminalität.
Fiktiver Fall A)
Bei der Polizeiwache in A-Stadt schrillt nachts um 02:30 der Alarm:
Einbruch beim Juwelier Goldmann in der Fußgängerzone, Innenstadt.
2 Streifenwagen fahren los, einer direkt zum Tatort, der andere zur ersten Nahbereichsfahndung, weitere werden umgehend losgeschickt.
Die Besatzung von Wagen A) findet am Tatort den Laden mit eingeschlagener Schaufensterscheibe vor, die Auslagen sind fast komplett ausgeräumt. Vom Täter vor Ort keine Spur.
Die Besatzung von Wagen B) trifft am Parkplatz vor dem Theater, 200 m vom Tatort entfernt, Herrn Erwin Kasulske an, der gerade eine schwarze Tasche in seinen dort abgestellten PKW einlädt. Bei der Kontrolle stellt sich heraus, dass die Tasche mit Schmuckstücken gefüllt ist, zu deren Herkunft Kasulske zunächst keine Angaben machen möchte. Die Sachen werden beschlagnahmt. Bei den Ermittlungen stellt sich heraus, dass die Sachen identisch mit dem beim Einbruch entwendeten Schmuckgegenständen sind.
Bei den folgenden Vernehmungen behauptet Kasulske, er habe den Schmuck kurz vor dem Aufgriff durch die Polizei von einem Unbekannten in der Fußgängerzone erstanden. Der Unbekannte, ca. zwischen 20 und 60 Jahren alt, zwischen 1,60 m und 1,85 m groß, blondbraune bis schwarze Haare, 3-Tage-Bart, Sonnenbrille, sei in der nächtlichen Fußgängerzone an ihn, Kasulske, herangetreten, und habe ihm den Schmuck zum Kaufpreis von 3000.- € angeboten. Da das Angebot verlockend aussah, habe er gleich zugegriffen, die 3000.- € habe er auch zufällig gerade dabei gehabt. Dass er möglicherweise Diebesgut gekauft habe, daran habe er nicht gedacht. Er habe den in der Nähe hörbar laufenden Alarm der Sirene am Laden jedenfalls auch nicht bewusst wahrgenommen, auch die Martinshörner der Polizei habe er nicht gehört.
Was sagt ihm daraufhin der Staatsanwalt?
Das kannst Du Deiner Oma ihrem Friseur erzählen. :-D
Nun, ganz so sagt der das vielleicht nicht, sondern er verkleidet das etwas eloquenter, indem er sagt, dass die Annahme, dass sich der Tathergang nach der Version des Kasulske ereignet haben solle, so lebensfremd sei, dass sie bei der Beweisverwertung nicht als Grundlage zur Wahrheitsfindung über den Tathergang heranzuziehen sei. Siehe dazu das BGH-Urteil u.s.w. u.s.f.
Kasulske wird also ziemlich sicher wegen schwerem Einbruch angeklagt und auch verurteilt.
Realer Fall B)
Ein Inkasso-Unternehmer erfindet eine Forderung in freier, eigener Regie. Er hält es nämlich mittlerweile für gänzlich unpraktisch, sich immer wieder mit den lästigen gesetzlichen Formalitäten herumschlagen zu müssen, die einer effizienten Einkommensentwicklung in unangemessener Weise entgegenstehen.
Er erfindet dazu einen Mandanten mit fiktivem russischen Namen sowie eine fiktive russische Firma. Sodann erfindet er ein fiktives "Gewinneintragungsspiel", kauft von der Wiener Gewinnspielmafia zehntausende Daten von "Kunden" an, die in der Vergangenheit illegale Lastschriftabbuchungen haben zurückbuchen lassen. Sodann fängt er an, quer durch die Republik zehntausende Tralala-Mahnungen für einen dreistelligen Geldbetrag zuzustellen. Der "Schuldner" habe sich telefonisch bei dem Gewinnspiel angemeldet, es gebe einen wirksamen Vertrag, wenn nicht gezahlt werde, werde gepfändet u.s.w.
Interpol Russland ermittelt in der Folge, dass ein Russe dieses Namens (natürlich) nirgends auffindbar ist. Der Inkassounternehmer behauptet nun, er habe den Inkassoauftrag von dem unbekannten Russen "über das Internet" per e-Mail angenommen, die Gelder seien auf ein Konto nach Zypern gegangen. Die Mail sei über einen anonymen Proxy-Server hereingekommen, die Herkunft ist natürlich nicht ermittelbar. Auch die Daten der "Schuldner" seien über das Internet gekommen.
Wie geht dieser Fall aus?
Ihr ahnt es schon: der Staatsanwalt stellt das Verfahren ein. Die dämliche Ausrede reicht ihm dazu.
Es stört hier offenbar niemanden, dass der Inkasso-Unternehmer keine gültige Aktivlegitimation für den Forderungseinzug hatte, dass er über das anonyme Medium Internet einen Auftrag angenommen haben will, und dann auch noch ausgerechnet aus Russland, einem Land, mit dem die Bundesrepublik derzeit nicht einmal ein Rechtshilfeabkommen unterhält. Niemand stellt hier die Frage, ob die Annahme, dass ein Inkasso-Unternehmer als rechtlich informierte Person ohne Aktivlegitimation so einen Auftrag unter solchen dubiosen Umständen annimmt, nicht auch vollkommen lebensfremd ist.
Deutsche Staatsanwälte finden das offenbar gar nicht lebensfremd, auch nicht das aufsichtführende Oberlandesgericht, welches dem Inkasso-Unternehmer immer noch nicht die Genehmigung entzogen hat. Schließlich ist der ja auch bisher nicht rechtskräftig wegen Betrugs verurteilt, daher gibt es keine Grundlage gemäß § 14 RDG.
Alles in bester Ordnung. :scherzkeks:
Ein Anspruch des Bürgers, vor diesen Machenschaften geschützt zu werden, besteht offenbar nicht. Und soll auch dauerhaft nicht bestehen, denn unsere gelbgeringelte Bundesjustizministerin ist der schriftlich niedergelegten Auffassung, dass unsere Gesetze vollkommen ausreichten.