AW: Neue Kundschaft - der Lyriker-Thread
Nichtsdestotrotz, liebe Adele, ich habe scheinbar überlebt.
Zum Beweis:
Reiche Ernte
Teil 2
“Wo sind die Zwetschen?”
Ruft mit böser Stimme meine Frau.
Doch was hilft ihr Zähnefletschen,
ich bin tot und alle Katzen grau.
Auf Wolke siebzehn bei den Engeln
sehe ich die Wirklichkeit im Traum:
Meine Frau hat aufgehört zu drängeln
und besteigt jetzt selbst den Baum.
Ich sehe Wespenschwärme summen
und höre auch die Vöglein singen,
die Regenwürmer ihre Lieder brummen:
“Bald wird sie reiche Ernte bringen.”
Sie pflückt das Obst mit flinken Händen
läßt sich von den Wespen nicht behindern.
Doch eine Hornisse will die Ernte jäh beenden
und sticht ihr ohne Gnade in den Hintern.
“Was soll der Quatsch, das tut doch weh!”
Hör ich meine Liebste fluchen.
Doch ich weiß, sie ist sehr zäh
und ißt auch gerne Zwetschgenkuchen.
Schimpfend pflückt sie immer weiter,
die Wespen haben schnell die Flucht ergriffen.
Nicht geheuer war das Weibsbild auf der Leiter,
sie haben auf ihre Düfte gern gepfiffen.
Ein Gewitter zieht auf und Blitze zucken.
“Steig hinab!” Will ich rufen ihr zu.
Sie hört mich nicht und will sich ducken
Ein Windstoß - und die Leiter kippte im Nu.
“Gib Acht!” Will ich schreien ,
doch ich bin ja tot und wie gelähmt.
Wie könnt´ ich sie jetzt noch befreien,
ich hab geweint und mich geschämt.
Die Leiter liegt unten
doch nicht meine Frau,
Sie hängt am Ast
und geschwollen ganz blau.
Meine Liebste schreit vor Angst und flucht
weil die Hornisse mit Verwandtschaft wiederkam
und ihren Hintern wieder heimgesucht.
Ich will eilen - doch die Knochen sind lahm.
“Er lebt, er lebt, der arme Mann!”
Ich höre Stimmen engelsgleich,
huschende Schatten ich erkennen kann
und Hände spür ich, sanft und weich
Bin ich im Himmel oder ist´s nur Schein?
Um mich herum ist alles grau und nebulös.
Zum Teufel! Drei Frakturen hat er am Bein
und seine Knochen sind total porös.”
“Der Gips ist angerührt” ,
hört ich einen anderen sagen
dann habe ich den Schmerz gespürt
da half kein Jammern und kein Klagen.
“Der schönste Schmerz
ist der , der schnell vergeht!”
sagt Schwester Adele mit viel Herz
und einem Zopf, kunstvoll über Kreuz gedreht.
Ihre zarten Hände trocknen mein Gesicht,
in ihren starken Armen ist meine Angst gewichen.
Wie´s meiner Frau geht, weiß sie nicht,
sie ist vielleicht schon längst verblichen.
"Verstochen von Wespen und Hornissen.
Am Ast hängt sie in einem Zwetschgenbaum. "
Schwester Adele drückt mich sanft ins Kissen
und haucht mich an : “Es ist ein Traum”
Die Oberarzt betritt die Runde
und fragt: Wie es uns denn geht?
Dann bringt er mir die frohe Kunde:
“Das Bein wird morgen neu gedreht. “
“Schrecken am Abend
erquickend und labend”
“Wie schön“, sagt Adele, die Schwester
du bleibst jetzt bei uns bis Silvester.
Zaghaft klopft es an der Zimmertür
So spät, wer mag das sein?
“Hallo mein Schatz, wie geht es dir?”
Meine Frau leibhaftig kommt herein.
“Du lebst - und kommst mich zu besuchen?”
Auch sie scheint über uns´re Rettung hochbeglückt.
“Schau, ich bring dir einen großen Kuchen
mit den Zwetschgen, die du selber hast gepflückt.”
Gruß Avor