a) Schon in seiner bisherigen Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht angenommen, daß der Schutz der Jugend nach einer vom Grundgesetz selbst getroffenen Wertung ein Ziel von bedeutsamem Rang und ein wichtiges Gemeinschaftsanliegen ist (vgl. BVerfGE 30, 336 [347 und 348]; 77, 346 [356]).
Der Jugendschutz, der in Art. 5 Abs. 2 GG ausdrücklich erwähnt ist, genießt vor allem aufgrund des in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verbrieften elterlichen Erziehungsrechtes Verfassungsrang. Dieses umfaßt unter anderem die Befugnis, die Lektüre der Kinder zu bestimmen (BVerfGE 7, 320 [323 f.]). Das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften ordnet die Indizierungsfolgen seiner §§ 3 bis 5 entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht mit dem Ziel an, in Ausübung des staatlichen Wächteramtes den Bereich des elterlichen Erziehungsrechtes zu schmälern. Sein Ziel ist vielmehr, Störungen des grundrechtlich gewährleisteten Erziehungsrechts der Eltern vorzubeugen. Die §§ 3 bis 5 GjS sollen sicherstellen, daß Kindern und Jugendlichen Schriften, die sich auf ihre Entwicklung schädlich auswirken können, nur mit Zustimmung ihrer Eltern zugänglich gemacht werden. § 21 Abs. 4 GjS in der Fassung, welche diese Vorschrift durch Art. 5 Nr. 8 des 4. StrRG vom 23. November 1973 (BGBl. I S. 1725) erhalten hat, gewährleistet dabei, daß Eltern ihre Entscheidung frei von jeder Strafandrohung treffen und ihren Erziehungsbefohlenen daher grundsätzlich auch Schriften im Sinne des § 6 GjS überlassen dürfen (vgl. zum Vorstehenden: Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit zum Gesetzentwurf BTDrucks. 10/722, BTDrucks. 10/2546, S. 16 rechte Spalte).
Verfassungsrang kommt dem Kinder- und Jugendschutz daneben aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG zu. Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit im Sinne dieser Grundrechtsnormen. Sie bedürfen des Schutzes und der Hilfe, um sich zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu entwickeln (vgl. BVerfGE 79, 51 [63]). Das gilt gerade auch für ihre Bewahrung vor sexuellen Gefahren und die Ermöglichung einer das Persönlichkeitsrecht achtenden Sexualerziehung (vgl. BVerfGE 47, 46 [72 f.]). Dieser Gesichtspunkt berechtigt den Staat, von Kindern und Jugendlichen Einflüsse fernzuhalten, welche sich auf ihre Einstellung zum Geschlechtlichen und damit auf die Entwicklung ihrer Persönlichkeit nachteilig auswirken können.
b) Der Gesetzgeber durfte ohne Verfassungsverstoß davon ausgehen, daß Schriften (§ 1 Abs. 1 GjS) jugendgefährdende Wirkung haben können. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin brauchte er seine legislatorischen Maßnahmen nicht vom wissenschaftlich-empirischen Nachweis abhängig zu machen, daß literarische Werke überhaupt einen schädigenden Einfluß auf Kinder und Jugendliche ausüben können. Diese Annahme liegt vielmehr im Bereich der ihm einzuräumenden Einschätzungsprärogative. Deren Anlaß und Ausmaß hängen von verschiedenen Faktoren ab. Maßgebend sind insbesondere die Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, die Möglichkeit, sich ein hinreichend sicheres, empirisch abgestütztes Urteil zu bilden, sowie die Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter.
Die zur Vorbereitung des Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (4. StrRG) vom 23. November 1973 (BGBl. I S. 1725) durchgeführte ausführliche wissenschaftlich-empirische Bestandsaufnahme hat gezeigt, daß die Möglichkeit einer Jugendgefährdung durch Schriften zwar nicht erhärtet, trotz überwiegend in die Gegenrichtung weisender Stellungnahmen aber auch nicht ausgeschlossen werden kann. Die maßgeblichen Vorarbeiten zu diesem Gesetz waren schon in der 6. Wahlperiode geleistet worden (vgl. BTDrucks. 7/80, S. 14). Die Beibehaltung des § 6 GjS damaliger Fassung wurde seinerzeit im wesentlichen im Zusammenhang mit der Novellierung des § 184 StGB (Verbreitung von Pornographie) diskutiert. Trotz umfangreicher Anhörung von Sachverständigen aus den Gebieten der Soziologie, Sexualwissenschaften, Psychiatrie, Psychologie, Pädagogik, Gerichtsmedizin, Kriminologie, Theologie, Philosophie und Rechtswissenschaft sowie von Praktikern der Kriminalpolizei, Fürsorge, Jugendhilfe und des Erziehungswesens konnte der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform die Frage der Jugendgefährdung nicht einwandfrei klären. Bei aller Uneinigkeit im übrigen herrschte Einmütigkeit in der Einschätzung, daß die Beurteilung der eingeholten wissenschaftlichen Stellungnahmen über mögliche Wirkungszusammenhänge von Lektüre und psychischer Entwicklung durch das Fehlen von systematischen Untersuchungen und Langzeitstudien erschwert werde (vgl. zum Vorstehenden: Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BTDrucks. VI/3521, S. 1, 3, 58 ff. sowie 65 f.; zum Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens siehe insbesondere Bericht und Antrag des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BTDrucks. 7/514, S. 10 f. und 12 f.).
In einer solchen wissenschaftlich ungeklärten Situation ist der Gesetzgeber befugt, die Gefahrenlagen und Risiken abzuschätzen und zu entscheiden, ob er Maßnahmen ergreifen will oder nicht (vgl. BVerfGE 49, 89 [131 f.]). Zusätzliche Rechtfertigung erfährt seine Entscheidung dadurch, daß das mit der Kunstfreiheit konkurrierende Rechtsgut hauptsächlich in Art. 6 Abs. 2 Satz 1, aber auch in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verankert ist und einen dementsprechend hohen Rang einnimmt. Den ihm zustehenden Entscheidungsraum hätte der Gesetzgeber daher nur dann verlassen, wenn eine Gefährdung Jugendlicher nach dem Stand der Wissenschaft vernünftigerweise auszuschließen wäre. Davon kann nach dem Ergebnis der Beratungen zum Vierten Strafrechtsreformgesetz nicht die Rede sein.