AW: Banditentum im Internet
Als Argumentationshilfe
Warum ist eine Abzockfalle mit versteckter Preisangabe ein strafrechtlich relevanter Betrug?
Immer wieder entstehen Diskussionen unter anderem auch mit Staatsanwälten und anderen Strafrechtlern, die in den typischen Abzockfallen keinen strafrechtlich relevanten Betrug sehen wollen.
Die zivilrechtliche Durchsetzbarkeit der Forderung werde damit zwar nicht berührt. Wie wir alle wissen, sind diese Phantasieforderungen auch tatsächlich bei richtigem Verhalten der Beklagten nicht durchsetzbar. Im Gegenteil: es hat auch schon erfolgreiche negative Feststellungsklagen gegeben.
Auch erkennen die Staatsanwälte durchaus an, dass ein Verstoß gegen die Preisangabenverordnung sowie gegen die BGB-Informationspflichtenverordnung vorliegt. Denn es wird über die Kostenpflicht nicht "sofort erkennbar" und in einem optischen Bezug zum Angebot aufgeklärt.
Aber auch das wäre nur eine Ordnungswidrigkeit, außerdem verstößt es gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen. Ein Straftatbestand werde damit aber noch nicht erfüllt.
Kernpunkt der Argumentation ist hierbei regelmäßig, dass der Vorsatz für die Betrugshandlung nicht nachgewiesen werden könne. Dies wäre jedoch für eine Verurteilung zwingend notwendig. Einen "fahrlässigen" Betrug "aus Versehen" gibt es natürlich nicht. Ein Vorsatz im Sinne des Strafrechts ist jedoch nur nachweisbar, wenn der Tathergang aufgrund der gegebenen Umstände keine andere Deutung zulässt, als dass eine planende, berechnende Absicht zugrunde gelegen hat.
Hier meinen die Staatsanwälte, dass der Betreiber der Webseite "aus Versehen" oder "aus Unachtsamkeit oder Gleichgültigkeit" durch die Gestaltung der Webseite den Preishinweis so angebracht haben
könnte, dass der Hinweis übersehen wird. Immerhin ist ja ein Preishinweis angebracht worden - der Betreiber habe es also zumindest versucht, wenn auch das Endergebnis letztlich nicht allzu glücklich war. Der "böse Wille", dass die Gestaltung des Preishinweises eben genau deshalb in dieser Form erfolgte,
damit der Verbraucher ihn übersieht (dies wäre dann eine absichtliche "Unterdrückung wahrer Tatsachen" gem. § 263 StGB, womit ein Irrtum erregt wird), sei angeblich nicht nachweisbar.
Es stellt sich aber die Frage, ob hier nicht "überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt werden".
Es geht hierbei um die Beweiswürdigung der Umstände, die den Vorwurf des Vorsatzes untermauern. Wenn eine bestimmte Erklärungsvariante "lebensfremd" ist, dann ist es nicht geboten, dass in Fragen der Beweiswürdigung diese Variante unter dem Grundsatz "in dubio pro reo" zu Gunsten des Angeklagten unterstellt wird.
In diesem Sinne hatte sich unter anderem der BGH bezüglich der Beweiswürdigung geäußert.
BGH 1 StR 478/04 - Urteil vom 11. Januar 2005 (LG Bayreuth)
BGH schrieb:
Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind.
Auch das OLG Hamm äußerte sich zur "übertriebenen Anwendung des Zweifelsgrundsatzes".
OLG Hamm, Beschluss vom 09.12.2008, Az: 4 Ss 484/08
OLG Hamm schrieb:
Der Grundsatz "in dubio pro reo" ist keine Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst dann zu befolgen hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten zu gewinnen vermag. Auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung ist er grundsätzlich nicht anzuwenden.
Die Annahme der Staatsanwälte, dass ein versteckter Preishinweis nicht in voller Absicht so gestaltet worden sein
muss, damit er vom Verbraucher übersehen wird, ist lebensfremd.
Warum ist diese Annahme lebensfremd?
"Lebensfremd" ist es, anzunehmen, dass eine Preisangabe im Fließtext, in 8pt-Schrift, hellblau auf marineblauem Untergrund, nur nach Scrollen sichtbar, ohne eine bewusste Täuschungsabsicht in dieser Form gestaltet worden sein könnte.
Lebensfremd ist es, anzunehmen, dass die typischen "Roßtäuschertricks", wie in
diesem Artikel beschrieben, nicht in voller Absicht dahingehend so ausgeführt worden sein sollen, um den Verbraucher über die Kostenpflicht zu täuschen.
Lebensfremd ist es, anzunehmen, dass ein
animiertes gif-Bild, das erst nach 10-20 Sekunden einen Preishinweis zeigt, nicht mit voller Absicht so entworfen worden sein soll.
Allein der erhebliche Aufwand, der für die Programmierung dieser Tricks notwendig ist, kann die Deutung, dass diese Gestaltung "aus Fahrlässigkeit" erfolgt sei, nicht mehr zulassen.
Auch die Tatsache, dass für den Preishinweis ein extra kleiner Schriftfont benutzt wird, zeigt, dass dies ein bewusst gewähltes Gestaltungsmerkmal ist, dem eine gewisse Absicht zugrundegelegt werden muss. Insbesondere dann, wenn dann der Preis selbst auch noch in Worten ausgeschrieben wurde, z.B.: "monatlich acht Euro" statt "monatlich 8 €". Hier handelt es sich nicht um Gestaltungsmerkmale, die lediglich "rein zufällig" oder "unbeabsichtigt" so eingesetzt werden.
Es kommt aber noch etwas anderes hinzu. Unbestreitbar verstoßen die Preishinweise gegen PangV und BGB-InfoV. Diese Tatsache muss dem Betreiber der Webseite spätestens nach Eingang der ersten Beschwerden bewusst werden, selbst wenn er vorher dem Irrtum erlegen gewesen wäre, dass sein Preishinweis deutlich genug sichtbar sei.
Wenn aber bereits hunderte, tausende, zehntausende Widersprüche und Beschwerden an ihn eingegangen sind, und wenn er trotz der Tatsache, dass ihm wegen der Verstöße ein Ordnungsgeld sowie eine Wettbewerbsklage der Verbraucherverbände droht,
weiterhin keine Änderung an der Webseite vornimmt -
allerspätestens dann kann dies nur in der direkten Absicht erfolgen, den Verbraucher auch weiterhin in seine Falle zu locken, indem er ihn arglistig über die Kostenpflicht täuscht.
Die gängige Praxis deutscher Staatsanwälte, Strafanzeigen wegen dieser Massenfälle durch die Bank einzustellen, ist rechtswidrig.
Indem die Staatsanwälte immer wieder versuchen, sich auf die Fälle zu beschränken, wo Personen Rechnungen bekommen haben, die niemals eine Anmeldung vorgenommen haben, stellen sie sich selbst ein Bein. Denn aufgrund seines miserablen, unsicheren Anmeldeverfahrens kann der Betreiber sich immer darauf berufen, dass fremde Drittpersonen unter Mißbrauch seines Anmeldesystems die Anmeldungen vorgenommen hätten. Das Gegenteil ist ihm regelmäßig nicht nachweisbar.
An dieser "Selbstbeschränkung" scheitern denn auch immer wieder diese Strafverfahren. Anstatt sich auf den Kernpunkt der Materie zu stürzen und diesen konsequent und logisch strafrechtlich auseinanderzunehmen, befassen sich die Strafrechtler mit Nebenkriegsschauplätzen. Und die Abzocker tanzen ihnen jahrelang auf der Nase herum.