97B/05 - 25. Juni 2005
Zur Zukunft des Mobile Payment nach dem Simpay-Rückzug:
"Das Scheitern von Simpay macht effiziente und effektive nationale Mobile-Payment-Lösungen erst möglich."
Key Pousttchi von der Augsburger Arbeitsgruppe Mobile Commerce sieht im Aus der internationalen Mobile-Payment-Allianz keine Katastrophe, sondern eine große Chance
Mit dem Ziel, auf europäischer Ebene ein gemeinsames Mobile-Payment-System zu entwickeln und zu betreiben, haben im Februar 2003 die vier großen und international agierenden Mobilfunkanbieter Orange, Telefonica Moviles, T-Mobile und Vodafone die "Mobile Payments Services Association (MPSA)" gegründet, die seit Mitte 2003 unter dem Markennamen "Simpay" firmierte. Nachdem am 13. Juni 2005 die Frankfurter Allgemeine Ausstiegsabsichten von T-Mobile gemeldet hatte, hat Simpay gestern nun in einer Presseerklärung die Einstellung aller Aktivitäten mitgeteilt (siehe
http://www.simpay.com/). Was bedeutet das für die Zukunft des M-Payment? Key Pousttchi, Leiter der Arbeitsgruppe Mobile Commerce am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und Systems Engineering der Universität Augsburg, sieht im Scheitern von Simpay in erster Linie eine Chance für die Schaffung effizienter nationaler Lösungen im M-Payment. "Nach unseren Untersuchungen", so Pousttchi in einer ersten Stellungnahme gegenüber dem UniPressedienst der Universität Augsburg, "haben nationale, aber dafür umfassende und nutzerfreundliche Lösungen erheblich bessere Aussichten auf einen Marktdurchbruch des Bezahlens mit dem Handy als Strategien, wie sie mit Simpay verfolgt wurden. Die aktuelle Entwicklung bestätigt, dass wir mit unseren eigenen Planungen richtig liegen: Wir wollen gegen Ende dieses Jahres mit nationalen und internationalen Industriepartnern ein Kompetenzzentrum "Mobile Payment and Banking" an der Universität Augsburg aufbauen." Im folgenden Pousttchis Stellungnahme im Wortlaut:
Kam das Aus von Simpay überraschend?
Key Pousttchi: Es gab seit längerer Zeit Anzeichen von einigen an Simpay beteiligten Mobilfunkbetreibern, dass deutliche Unzufriedenheit über die Fortschritte und über einige andere Dinge herrscht. Auch der Wechsel des CEO Anfang Februar war ein interessantes Signal. Dennoch hatten wir die Entwicklung in dieser Form, also den Ausstieg von T-Mobile und damit das Scheitern der Allianz, nicht erwartet.
Woran ist Simpay aus Ihrer Sicht gescheitert?
KP: Es gibt keine externen Fakten, die sich grundlegend geändert haben und zu einer Neubewertung Anlass gaben. Insofern liegt das Scheitern offensichtlich innerhalb des Systems begründet. Und wenn man die ursprüngliche Zielsetzung betrachtet, nämlich Anfang 2004 ein Bezahlsystem auf den Markt zu bringen, dann hat man hier wohl auch die Komplexität der Aufgabe unterschätzt.
Obwohl wir einen Erfolg von Simpay sehr begrüßt hätten - damit wäre in bestimmten Bereichen eine europaweite Standardisierung verbunden gewesen -, hatte der Ansatz einen generellen Geburtsfehler: Die Mobilfunkanbieter haben sich bei Simpay immer viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Die europaweit operatorübergreifende Nutzung - und also Abrechnung - mobiler Dienste, auf die sich Simpay dann schließlich konzentriert hat - um daran letzlich zu scheitern - , ist bei den Nutzern bisher kein wirkliches Thema. Das hat einen einfachen Grund: Bis auf Klingeltöne und Logos werden im B2C-Bereich kaum bezahlte Dienste genutzt. Hier gibt es ganz andere Probleme zu lösen. Und die Szenarien, in denen der Kunde heute gern als erstes mobil bezahlen würde, kann man mit einer vertikalen Allianz wie Simpay nicht lösen. Dafür müssen Banken mit ins Boot.
Ist das jetzt das Ende für das Bezahlen mit dem Handy?
KP: Im Gegenteil. Das Scheitern von Simpay macht effiziente und vor allem effektive nationale Lösungen aus meiner Sicht erst möglich. Erstens: Der alte Satz heißt "payment is local business". Man muss die Bedürfnisse der nationalen Märkte berücksichtigen. Das schließt Interoperabilität zwischen den nationalen Lösungen nicht aus, aber dies ist ein zweiter Schritt. Zweitens: In Deutschland beispielsweise können sich knapp die Hälfte der Bevölkerung vorstellen, mit dem Handy zu bezahlen - eine immense Zahl. Jetzt muss man endlich anfangen, Lösungen zu bauen, mit denen die Kunden auch etwas anfangen können. Vielleicht führt die jetzige Entwicklung auch dazu, dass wissenschaftliche Erkenntnisse nicht mehr so einfach vom Tisch gewischt werden mit dem Argument: "Wir kennen den Markt besser."
Meine Arbeitsgruppe hat die Situation auf dem deutschen Markt über einige Jahre sehr genau analysiert und wir haben Anfang des Jahres das Mobile Payment Referenzmodell (MPRM) vorgelegt, das auf der Grundlage empirischer Daten und wissenschaftlicher Methoden detaillierte Lösungsansätze skizziert - und zwar auf der Grundlage bestehender Abrechnungsarten wie Mobilfunkrechnung, Lastschrift und GeldKarte. Nur kleine Teile davon haben bisher ihren Weg in die Entscheidungsprozesse der Mobilfunkanbieter gefunden.
Ein funktionierendes Mobile Payment wäre im übrigen eine große Chance sowohl für Mobilfunkanbieter, weil es den Nutzer auch an bezahlte Dienste gewöhnt, als auch für Banken, die abgesehen von ihrer Grundaufgabe Zahlungsverkehr (die sie auch im Kontext Mobile Commerce wahrnehmen sollten) und ihrer Verantwortung für die Innovationskraft des Standortes Deutschland über dieses Medium vor allem die junge Generation ansprechen. Es ist nachweisbar, dass die strategischen Ziele der Mobilfunkanbieter und der Banken miteinander vereinbar sind. Und noch einmal: Die Kunden wollen es haben und wenn es gut gemacht ist, werden Sie es auch nutzen.
Was tut ihre Arbeitsgruppe weiter?
KP: Wir wollen, dass das Thema vorankommt. Das ist ein Bereich, in dem Deutschland Technologieführerschaft in Europa zeigen kann, und Europa liegt ein bis zwei Jahre vor den USA.
Als Universität sind wir natürlich bereit, den Markt mit unseren Forschungsergebnissen zu unterstützen. Es gibt da eine Reihe von Ansatzpunkten, und zumindest bei der Etablierung einer Kooperation zwischen Banken und Mobilfunkanbietern sind wir ja auch im Rahmen des "National Roundtable M-Payment" miteinander im Gespräch. Es gibt auch bereits Anfragen von europäischen Mobilfunkanbietern über die Anwendbarkeit des MPRM auf ihren nationalen Märkten.
Darüber hinaus planen wir für Ende 2005 mit namhaften nationalen und internationalen Industriepartnern den Aufbau eines "International Competence Center Mobile Payment and Banking" an der Universität Augsburg.
Haben die Mobilfunkanbieter mit Simpay viel Geld für nichts ausgegeben?
KP: Ich denke nicht. Wenn ich mir etwa die UMTS-Lizenzen anschaue, dann liegen wir mindestens um den Faktor 1000 darunter. Und zweitens gehe ich davon aus, dass hier auf der Durchführungsebene eine Reihe von Standards entwickelt wurde, die im Rahmen künftiger Lösungen weiterverwendet werden können. Das wird uns das Leben in der Zukunft wohl an einigen Stellen deutlich erleichtern.