AW: Youtubeuser anzeigen?
...dann raube doch nicht auch noch den Behörden ihre kostbare Zeit mit sinnfreien Anzeigen!
Diese Haltung scheint mir zwar nicht unvernünftig aber in dieser absoluten und endgültigen Formulierung doch etwas eng und schabloniert.
Darüber, wie "kostbar" "Behördenzeit" sei, besteht keinerlei Einigkeit. Dass sie evt. teuer ist, bedeutet nicht, dass sie entsprechend kostbar ist. Kostbar wird sie nicht dadurch, wieviel der Steuerzahler dafür aufbringt, sondern dadurch, was die Behörde effektiv leistet - und eben diesbezüglich gibt es individuell und von Fall zu Fall sehr unterschiedliche Erfahrungen.
Dass Ehrverletzung und Beschimpfung in der Regel in sehr vielen Rechtssystemen Antragsdelikte sind, beruht weitgehend auf rechtspflegeökonomischen Zwängen, nicht auf dem geringeren Wert des verletzten Rechtgutes gegenüber dem Wert der Rechtsgüter, deren Verletzung von Amtes wegen verfolgt wird, weil deren Verfolgung für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung einfach
noch dringlicher ist.
Eine Gesellschaft, in welcher Anstand und Höflichkeit im Verkehr zwischen ihren Mitgliedern einen geringen Stellenwert hat oder gar bedeutungslos wird, ist entsprechend roh, unzivilisiert und barbarisch und entsprechend unfähig, sich komplexeren kollektiven Herausforderungen zu stellen. Sie hat kaum eine andere Wahl als auf Symptombeseitigung und -unterdrückung mit roher Gewalt zu beharren. Das führt auf Dauer auch zu verhängnisvoll einseitigem und ruinösem Ressourcenverschleiss.
So betrachtet erweisen sich Pflege von aufrichtigem Anstand und disziplinierter Höflichkeit in einer zivilisierten Gesellschaft als ein langfristig sehr kostbares und sogar krisenbeständiges Gut, das den Wert von "Behördenzeit" unzählige Male aufwiegt.
Der beste Garant für Pflege und Erhalt dieses volkswirtschaftlich unschätzbaren - und von vielen Finanz- und Wirtschaftsschnüseln unverstandene Gut ist eine Art kollektiv verinnerlichte "Ästhetik des Öffentlichen" und seiner Gliederung in mehr oder weniger private bis exclusive Bereiche und Unterbereiche", in welchen mehr oder weniger experimentelle Freiheiten und Alternativmodelle zulässig sind und - der Definition des Bereichs entsprechend - auch von allen, die sich freiwillig und bewusst in einen so und so definierten Bereich begeben, zu tolerieren sind. Das ist im Internet ganz ausgesprochen aber letzlich nicht anders der Fall als in den überlieferten, reduziert öffentlichen Kreisen, wo sozialer Austausch stattfindet.
Insofern sind die für eine Internetseite oder für eine domain Verantwortlichen - einschliesslich der user, ebenso dafür verantwortlich, was im von ihnen betriebenen und genutzen Bereich zulässig sei, wie Betreiber und Publikum einer von der High Society frequentierten Lounge oder eben Wirt und Besucher einer zwielichtigen Hafenkneipe. Dennoch gibt es absolute Schwellen, deren Über- bzw. Unterschreitung auch im stark reduziert und bedingt öffentlichen Bereich von niemand toleriert werden muss. Diese Schwellen werden aber von einem allgemeinen "gesellschaftlichen Druck" weit effizienter gehütet als vom Gesetz und von der Justiz. So wagt es auch der hartgesottenste Gesellschaftsverächter und Extremist im Mitteleuropa kaum, sich auf offener Strasse in aller Ruhe mit runtergelassener Hose hinzukauern, um sich zu versäubern; selbst ohne Einschreiten der Polizei hält ihn ein Schamgefühl oder Hemmung zurück, zu dessen Entwicklung andern Orts der kollektive Widerstand gegen solche Verwahrlosung bereits zu sehr geschwächt ist.
Um eine vergleichsweise ähnlich starke charakterliche Verwahrlosung oder Entwicklungslücke handelt es sich bei Menschen, die ihre Unfähigkeit, auf Argumente mit die Sache betreffenden Gegenargumenten zu reagieren, mit Unflätigkeiten und hemmungslosen Grobheiten übelster Art gegen den Urheber der sie irritierenden Meinung kompensieren. Es ist die verbale Entsprechung zum direkten bracchialen Dreinschlagen, wogegen sich offenbar der kollektive Widerstand in den letzten Jahrzehnten als immer schwächlicher zu erweisen scheint.
In auf solchen und ähnlich wirkenden Ursachen beruhenden Fällen hinterher das Recht bemühen zu wollen, wo lange zuvor Erziehung und Bildung und die Schaffung dafür günstiger Bedingungen in bedenklichem Masse versäumt worden sind, hilft leider wenig und oft zu spät.
Für die direkt Betroffenen ist das leider und tatsächlich kein Trost. Besser, als sich an Behörden zu wenden, ist die Beschimpfung oder Beleidigung zu analysieren, mit guten Freunden zu besprechen und sich argumentative Taktiken und Strategieen auszudenken, um in küntig ähnlichen Fällen entweder das Gespräch von der Beleidigung weg mit den übrigen Gesprächsteilnehmern wieder auf das eigentliche Thema zurückzulenken oder auch ausdrücklich klar zu machen, dass die Beleidigung mit dem Thema nichts zu tun hat und keinen brauchbaren Beitrag zur Erörterung des Gesprächsgegenstandes darstellt. Wenn das nichts hilft, zieht man sich am besten aus dem Gespräch zurück und sucht eine andere Gesprächsrunde. Hilfreich kann es auch sein, den Beleidiger zu fragen, womit man ihn denn zu seinen Unflätigkeiten provoziert habe und ihm mitzuteilen, man halte seine Reaktion darauf für masslos übertrieben und erst noch nichtssagend. Er solle doch äussern, was er eigentlich sagen wollte. So macht auch der Begriff "Kommunikationszeitalter" halbwegs einen Sinn - denn dieses begann vor Jahrhunderttausenden wenn nicht Jahrmillionen, wo sich Lebewesen zu verständigen begannen. (In Wahrheit befinden wir uns in einer gewaltigen Kommunikationskrise und am Beginn eines gewaltigen Umbruchs nicht nur der technischen Verständigungssysteme und ihrer Normen und Dogmen sondern auch der mental abstrakten Hin- und Rückmeldekonzepte - und hat dieser Umbruch bereits vor 500 bis spätestens 300 Jahren begonnen - aber das muss andern Orts dargestellt werden).
In jedem Fall sollten die Betreiber der betreffenden Seite, wo sich die Beleidugung bzw. Beschimpfung ereignet hat, formell, evt. mit Kopie des Vorfalls, formell informiert werden.
Es gibt der Natur der Sache gemäss zwei Zuständigkeitsprinzipien für die Verfolgung von Verbrechen und Vergehen jeder Art und Schwere : Den Ort der Tatbegehung bzw. Tatausführung und den Ort der Eintritts des Taterfolgs. Ist die Tat am Ort, wo das Opfer bzw. der Geschädigte davon betroffen ist, strafbar, kann dieses bzw. dieser dort Anzeige erstatten, auch wenn die Tat auf dem Territorium, wo sie ausgeführt worden ist, nicht strafbar ist. Ist die Tat beider Orts strafbar, hat das Opfer die Wahl, wo es die Anzeige deponieren will. Das hat aber keinen Einfluss darauf, wie sich die Behörden darüber einigen, von wo aus die Strafuntersuchung durchgeführt wird. Das Weitere ist von den Rechtsbeziehungen und Vereinbarungen über Rechtshilfe und Fahndungszusammenarbeit zwischen Tatausführungsort und Taterfolgsort abhängig. Ist die Straftat von einem Ort ausgeübt, wo sie nicht strafbar ist und betritt der Täter das Territorium, wo ihr Erfolg eingetreten ist und sie strafbar ist, kann er, vorbehältlich anderslautender Vereinbarungen zwischen den Territorien, von der Strafverfolgung des Ortes des Erfolgseintritts belangt werden. So weit die allgemeinen Grundsätze. Aber von da bis zur Klärung der Zuständigkeit im konkreten Einzelfall ist in der Regel ein langer und komplizierter und entsprechend aufwändiger Weg. Nicht immer ist nämlich
juristisch so klar, wie es dem sog. gesunden Menschenverstand scheinen mag, wo eine Tat ausgeübt und wo ihr Erfolg eingetreten ist. Das macht Behördenzeit eher ineffizient und kosts
pielig als kost
bar.