Wenn Menschen sich zusammentun um im großen Stiel Forderungen einzutreiben, von denen sie wissen, das sie nicht berechtigt sind, dann ist dies die Gründung einer kriminellen Vereinigung und gewerbsmäßiger Betrug. Hier ist Strafrecht anzuwenden.
Die Strafjuristen tun sich an dieser Stelle mit dem Nachweis der Kenntnis schwer. Ein Betrugsvorsatz bzw. die Beihilfe zum Betrug ist dem Inkassobüro nur dann anzulasten, wenn der Betreiber
nachweislich Kenntnis vom Nichtbestehen der Ansprüche seines Mandanten hat oder zumindest haben müsste. Wann aber muss er Kenntnis haben? Konsequent weiter gedacht müsste er zum Beispiel dann Kenntnis haben, wenn er eine große Zahl an Widerspruchsschreiben erhält, aufgrund deren Vielzahl und aufgrund deren Darstellungen sich ihm begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ansprüche aufdrängen müssen.
Diesen Bogen wollen aber in Deutschland die Strafjuristen bei der Inkassokriminalität nicht spannen. Sie lassen die Betreiber der Inkassobüros mit der faulen Ausrede davonkommen, sie hätten im guten Glauben an die Rechtmäßigkeit der Forderung sein dürfen, weil der Mandant es ihnen so versichert habe, dass alles schon seine Richtigkeit habe.
An dieser Stelle stelle ich die weiche Rechtsprechung im Strafrecht bei Wirtschaftskriminalität immer gern der Tatsache gegenüber, dass in den Fällen der Geldwäsche durch angeworbene
"Finanzagenten" die Schwelle für die Sorgfaltspflichten von den Strafrechtlern plötzlich ganz anders gesehen wird. Den naiven Arbeitslosen, Rentnern, Schülern u.s.w., die sich von einer der Betrugs-e-Mails der russischen Phishing-Mafia haben einlullen lassen, und die in der Regel nicht ahnen, dass sie dabei mithelfen, für die Phisher das Geld zu waschen, wird von den Staatsanwälten vorgehalten, dass sie "im Rahmen der Globalisierung und des allgemeinen Bildungsniveaus" (Zitat aus einem Urteil) hätten wissen müssen, dass dieser "Job" nicht mit rechten Dingen zugehen kann.
Die Schizophrenie in der Rechtsprechung könnte größer nicht sein. Ein rechtskundiger Betreiber eines Inkassobüros hat offenbar keinerlei Rechts- und Sorgfaltspflichten, er muss noch nicht einmal ins schweizerische Online-Handelsregister schauen und dabei feststellen, dass es die angebliche Schweizer "Firma" seines Mandanten gar nicht gibt. Nein, er durfte im guten Glauben sein, dass alles schon rechtens sei. Das fand z.B. die Kieler Staatsanwaltschaft in Sachen "Alektum Inkasso" wegen betrügerischer Beitreibungen von Gewinnspielrechnungen alles gar nicht weiter schlimm. Aber der arbeitslose Hartz-IV-Empfänger mit prekärem Bildungshintergrund, unerfahren und in rechtlichen Dingen ohne auch nur den Schimmer einer Ahnung, hat gefälligst zu wissen, dass eine Weiterleitung von Geldern über Western Union nach Russland gemäß KWG eine genehmigungspflichtige Auslandsfakturierung ist, und er hat zu wissen, dass e-Mails auch mit gefälschtem Absender geschickt werden können und dass es die Firma in St. Petersburg nicht gibt - auch wenn es dort kein offiziell einsehbares Handeslregister im Internet gibt.
Unwissenheit schützt vor Strafe nicht - das gilt aber nicht bei Wirtschaftskriminalität. Dort kann man sich allzu oft mit dem üblichen "Bestreiten der Kenntnis mit kreativem Nichtwissen" aus der Schlinge ziehen.