Führt eine IP-Vorratsdatenspeicherung zum Überwachungsstaat

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TK-Insider

Wie vielleicht nur oberflächlich bekannt, wurde auf Initiative von 4 Ländern (die restlichen EU-Innenminister mischten unerkannt im Hintergrund mit) eine verbindliche EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung verabschiedet
http://register.consilium.eu.int/pdf/de/05/st03/st03677.de05.pdf
die in 18, respektive 36 Monaten in national geltendes Recht umzusetzen ist.
http://www.heise.de/ct/aktuell/meldung/66857

Bisher stand "nur" die gedankliche Realisierung innerhalb der klassischen Leitungsvermittlung im Festnetz und Mobilfunk im grundsätzlichen Focus. Da aber die meisten Netze in wenigen Jahren auf IP-Betrieb (NGN-Konzepte) umgestellt werden, stellt sich die berechtigte Frage nach der Umsetzung der Vorratsdatenspeicherungsverpflichtung in Paketvermittlungsumgebungen, wo technisch nicht eindeutig zwischen Verbindungsinformationen und den eigentlichen Nutzdaten unterschieden werden kann. Entweder muss wegen der Masse und Geschwindigkeit der paketierten Daten alles aufgezeichnet werden, oder es findet beim tangierten Netzbetreiber eine "Bewertung" der Datenpaket-Header bzw. Protokollelemente statt. Damit erfolgt in derartigen Systemplattformen zumindest eine indirekte Nachrichtenentschlüsselung.
Sieht jemand andere Möglichkeiten oder Konzeptansätze, wie für eine temporäre Vorratsdatenspeicherung (Sprache, Daten, Internet, eMail, etc.)eine Totalarchivierung der gesamten Telekommunikation (VoIP, Downloads -> die urhebervertreter warten schon, IPTV-Nutzung, usw.) für den Zeitraum von x-Monaten abgewendet werden könnte. Die juristische EU-Vorgabe ist nunmal da, jammern oder polemisieren hilft jetzt nicht wirklich weiter.

http://www.heise.de/newsticker/meldung/71839
http://www.heise.de/newsticker/meldung/71776
http://www.heise.de/newsticker/meldung/71831
Die Bundesjustizministerin (Frau Zypries) vertritt darüber die Auffassung, das Vergehen mittels Telekommunikationstechnologien zu den besonders schweren Straftaten (!) gehören, was zur Folge hätte, das die Herausgabeverpflichtung für aufzeichnende Stellen sehr viel einfacher von statten geht, weil diese "Verwaltungsvorgänge" damit keinen besonders hohen Verfahrenshürden (reicht einfache Strafanzeige für das Recht auf Akteneinsicht bzw. nachgelagerten Ermittlungsanspruch aus?) unterliegen.
 
Umsetzung der EU-Richtlinie führt zum Überwachungsstaat

TK-Insider schrieb:
Die Bundesjustizministerin (Frau Zypries) vertritt darüber die Auffassung, das Vergehen mittels Telekommunikationstechnologien zu den besonders schweren Straftaten (!) gehören,

Nun ist sie da, die neue EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung; die weit über die Datensammlung in Zusammenhang mit der Dokumentation von TK-Entgeltdaten in allen TK-Angebotsformen hinausgeht.
http://europa.eu.int/eur-lex/lex/LexUriServ/site/de/oj/2006/l_105/l_10520060413de00540063.pdf
http://www.heise.de/newsticker/meldung/72031

Unabhängig von der regen Diskussion, die hier im Forum unter
http://forum.computerbetrug.de/showthread.php?t=38812
geführt wird, sollte sich jeder Interessierte den grundsätzlichen bzw. technisch prägenden Forderungskatalog unter Artikel 5 ansehen. Die Rechts- und Innenpolitiker, die sich unter verdeckter Förderung des BMI zu dieser EU-Entscheidung auch im Bundestag (Beschluß 16/545)
http://dip.bundestag.de/btd/16/005/1600545.pdf
zunächst durchsetzen konnten, ahnen wahrscheinlich selber nicht einmal welche technologische Konsequenzen (-> Volldatenspeicherung, mit Kopien sämtlicher elektronischen gestützten Geschäftsvorgänge auf IP-Basis mindestens bei einem, wenn nicht gar bei mehreren Netzbetreiber für die letzten 6 Monate!) sie da lostreten wollen.
Besonders schlimm ist dabei, das jede Behörde mit irgendwelchen Berührungspunkten (BNetzA, BSI) entweder das Problem am liebsten gar nicht anpacken möchte bzw. abtaucht, oder auf Grund eines gesetzlichen Auftrages (BKA, ZKI, Staatsanwaltschaften) zu Ermittlungsmaßnahmen einfach drauflos plappert, um ihre sicherlich berechtigte, aber einseitige Auffassung mehrheitsfähig zu machen. Obwohl die Politik nur noch 18 - 36 Monate Zeit bis zur Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht hat, reagiert sie wie auch bei anderen gesellschaftlichen Brennpunkten hilf- und planlos, was naturgemäß zu einer normativen Kraft des juristisch Faktischen führt. Hier wäre aus dieser Richtung ein vorbereitender runder Tisch (ähnlich wie zur Förderalismusdiskussion), unter Beteiligung aller relevanten Kräfte unter professioneller und unabhängiger Moderation zielführend (bloß keine abgehobenen Akademiker, dann schon eher unter Federführung kommerzieller Beratungsunternehmen), damit wenigsten der ernsthafte Versuch unternommen wird, zumindest eine halbwegs einheitliche Sichtweise bzw. Basisverständnis hinzubekommen. dies gilt sowohl für die damit verbundene Kostenexplosion bei TK-entgelten, genauso wie für die doch relativ einfachen Maßnamen, wie der Vorratsdatenansatz von dunklen Elementen unterlaufen werden könnte.
Leider ist auch dieses Thema, wie die gesamte TKG-Regulierung, viel zu komplex und ggf. emotionsbeladen, so das die zu entscheidenden Grundlagen kaum über Statments in der Tagespresse erläutert oder gar in der Tagesschau berücksichtigt werden.
 
AW: Umsetzung der EU-Richtlinie führt zum Überwachungsstaat

TK-Insider schrieb:
Die Rechts- und Innenpolitiker, die sich unter verdeckter Förderung des BMI zu dieser EU-Entscheidung auch im Bundestag (Beschluß 16/545)
http://dip.bundestag.de/btd/16/005/1600545.pdf
zunächst durchsetzen konnten, ahnen wahrscheinlich selber nicht einmal welche technologische Konsequenzen (-> Volldatenspeicherung, mit Kopien sämtlicher elektronischen gestützten Geschäftsvorgänge auf IP-Basis mindestens bei einem, wenn nicht gar bei mehreren Netzbetreiber für die letzten 6 Monate!) sie da lostreten wollen.
M. E. ist in dem Text von Verkehrsdaten, nicht von Volldaten die Rede. Das entspricht wohl auch dem EU-Beschluss. Lediglich im Punkt 9. der Vorlage wird das Problem angerissen, dass Verkehrsdaten von Inhaltsdaten ggf. schwer zu trennen sind. Das dies tatsächlich so ist, bezweifele ich. Man kann sehr wohl die Rufnummern von Teilnehmern eines Telefonates und die Dauer der Verbindung vom Gesprächsinhalt trennen. Das Gleiche gilt für andere Kommunikation.

M. Boettcher
 
Umsetzung der EU-Richtlinie führt zum Überwachungsstaat

drboe schrieb:
TK-Insider schrieb:
M. E. ist in dem Text von Verkehrsdaten, nicht von Volldaten die Rede. Das entspricht wohl auch dem EU-Beschluss. Lediglich im Punkt 9. der Vorlage wird das Problem angerissen, dass Verkehrsdaten von Inhaltsdaten ggf. schwer zu trennen sind. Das dies tatsächlich so ist, bezweifele ich. Man kann sehr wohl die Rufnummern von Teilnehmern eines Telefonates und die Dauer der Verbindung vom Gesprächsinhalt trennen.
Guter Mann, wir sind nicht mehr im leitungsvermittelnden Zeitalter. Da stimmte der geschilderte Annahme noch. Jedes IP-Paket der diversen Protokollebenen besteht aus dem Header und der eigentlichen Nutzinformation in variabler (!) Länge. Ein Hinweis auf die Länge der Nutzdaten ist im Header enthalten, so das zur eindeutigen Interpretation der Verkehrsinformation, und ohne Volldatenspeicherung, zumindest die Nutzdaten in der jeweils aktuellen Länge überschrieben werden müssen. Ein faktisches Ausstanzen des Nutzdateninhaltes würde die IP-Paketinformation "verzerren".
Dieser Vorgang, incl. nachgelagerter sachbezogener Abspeicherung ist grundsätzlich etwas anderes, wie ein klassisches Routing oder Switching von IP-Paketen in Echtzeit (während der reinen Übertragung ohne Betrachtung der Nutzinformation!).
Eine Nutzdatenüberschreibung oder codierte Abspeicherung des Header (mit einer jederzeit eindeutigen Rekonstruktionsoption) würde auf Hochgeschwindigkeitsdatenübertragungsstrecken (>100 MBit/s-Lan, GBit-Ethernet, etc.) sicherlich auf die verbleibende Produktionsperformance durchschlagen und dazu führen, das beim jeweils tangierten Netzbetreiber zumindest eine passende Systemplattform jedes übertragene IP-Paket (TCP/UDP-, IP-, Ethernetframes under Steuersignale, etc.) bewertet, um die ausgefilterten Verbindungsinformationen für sechs Monate (Ziel der Bundesregierung) abspeichern zu können.
Ohne weiter einschränkende Regelungen wird jeder "öffentliche" IP-Netzbetreiber diesen Vorgang für sich selbst sicherstellen müssen!
Welch ein Wahnsinn, der in jedem Internet-Cafe, Einwahl von außen oder anonymisiertes Redirection relativ einfach unterlaufen werden kann.
 
AW: Umsetzung der EU-Richtlinie führt zum Überwachungsstaat

JUPP schrieb:
drboe schrieb:
M. E. ist in dem Text von Verkehrsdaten, nicht von Volldaten die Rede. Das entspricht wohl auch dem EU-Beschluss. Lediglich im Punkt 9. der Vorlage wird das Problem angerissen, dass Verkehrsdaten von Inhaltsdaten ggf. schwer zu trennen sind. Das dies tatsächlich so ist, bezweifele ich. Man kann sehr wohl die Rufnummern von Teilnehmern eines Telefonates und die Dauer der Verbindung vom Gesprächsinhalt trennen.
Guter Mann, wir sind nicht mehr im leitungsvermittelnden Zeitalter. Da stimmte der geschilderte Annahme noch. Jedes IP-Paket der diversen Protokollebenen besteht aus dem Header und der eigentlichen Nutzinformation in variabler (!) Länge. Ein Hinweis auf die Länge der Nutzdaten ist im Header enthalten, so das zur eindeutigen Interpretation der Verkehrsinformation, und ohne Volldatenspeicherung, zumindest die Nutzdaten in der jeweils aktuellen Länge überschrieben werden müssen. Ein faktisches Ausstanzen des Nutzdateninhaltes würde die IP-Paketinformation "verzerren".
1. Quoting beachten

2. Was willst Du damit eigentlich erklären? IP-Netzwerke?

3. Einmal erfaßt die geplante Vorratsdatenspeicherung alle Kommunikationsnetze, nicht nur solche auf IP-Basis. Zum anderen will niemand etwas "überschreiben". Man will eine Kopie, und zwar bezogen auf IP-Traffic von den Daten, wie sie beim IP-Billing anfallen. Also welcher Kunde kommuniziert wann, wie lange, mit welchem Server, ggf. welche Seiten werden abgerufen? Bezogen auf Telefonie, Fax und Mobilfunk: Welcher Kunde kommuniziert wann, wie lange, mit welchem anderen Teilnehmeranschluß? Ggf. unter Einschluß der Dienstekennung und (bei Mobilfunknetzen) der Zelle. Für eine Nutzdatenspeicherung aller Teilnehmer werden die Speicherkapazitäten auf lange Sicht nicht reichen. Und das ist auch gut so.

M. Boettcher
 
AW: Umsetzung der EU-Richtlinie führt zum Überwachungsstaat

drboe schrieb:
Für eine Nutzdatenspeicherung aller Teilnehmer werden die Speicherkapazitäten auf lange Sicht nicht reichen. Und das ist auch gut so.

M. Boettcher

Was aber nicht heißt, daß die Ermittlungsbehörden nichts über den Inhalt der Telefonate erfahren. Wenn die Ermittlungsbehörden jemanden mit dem ich telefoniert habe, eines entsprechenden Deliktes verdächtigen, dann können sie mich sicher als Zeugen zum Gesprächsinhalt vernehmen.
 
AW: Umsetzung der EU-Richtlinie führt zum Überwachungsstaat

advisor schrieb:
Was aber nicht heißt, daß die Ermittlungsbehörden nichts über den Inhalt der Telefonate erfahren.
Inhalt? Wohl kaum - um den überwachen und auswerten zu könenn braucht es eine richterliche Anordnung und das gibt es heute schon. Wer aber mit wem telefoniert oder surft ist eine andere Sache. Im Übrigen (und wenn ich das richtig verstanden habe wird das auch so bleiben) unterliegen die Datenerhebungen weiterhin gewissen Kriterien und die Überwachung von expliziten Inhalten besonderer Verschärfung solcher rechtsstaatlichen Kriterien.
 
AW: Umsetzung der EU-Richtlinie führt zum Überwachungsstaat

Reducal schrieb:
Im Übrigen (und wenn ich das richtig verstanden habe wird das auch so bleiben) unterliegen die Datenerhebungen weiterhin gewissen Kriterien und die Überwachung von expliziten Inhalten besonderer Verschärfung solcher rechtsstaatlichen Kriterien.
sicher?
http://www.heise.de/newsticker/meldung/69881
Die Bundesregierung wird darin aufgefordert, die Direktive "mit Augenmaß" umzusetzen und es bei einer sechsmonatigen Speicherdauer zu belassen. Allerdings sollen Sicherheitsbehörden über die Vorgaben aus Brüssel hinaus nicht nur bei "schweren Straftaten", sondern auch bei allen "mittels Telekommunikation begangener" Delikte in den Datenbergen schürfen dürfen.
So ähnlich stand das auch in der Süddeutschen: Man hat das Einsatzgebiet weiter gesteckt und es geht nicht nur um "schwere Straftaten". Ich muss aber gestehen, dass mir da der Durchblick fehlt...
[edit: stimmt, denn das steht ja schon hier:
http://forum.computerbetrug.de/showthread.php?p=144019#post144019 ]

http://www.heise.de/newsticker/meldung/69734
"Bundestag befürwortet verdachtsunabhängige Überwachung der Telekommunikation" (da isses ja wieder, mein Lieblingswort)
Nun ja... Es ist halt wie so oft... Man redet von Terrorgefahr oder nennt die
Erfordernisse einer effektiven Strafverfolgung
im
Internet als neuem Verbrechensherd
mit
Strukturen von weit verzweigten Verbrechen
und gaukelt damit den Schutz des Bürgers als Motivation vor - ohne jemals darüber Rechenschaft ablegen zu müssen, ob die Verwirklichung den Politikerworthülsen auch nur im Entferntesten entspricht.
 
AW: Umsetzung der EU-Richtlinie führt zum Überwachungsstaat

advisor schrieb:
drboe schrieb:
Für eine Nutzdatenspeicherung aller Teilnehmer werden die Speicherkapazitäten auf lange Sicht nicht reichen. Und das ist auch gut so.

Was aber nicht heißt, daß die Ermittlungsbehörden nichts über den Inhalt der Telefonate erfahren.
Bei der richterlich angeordneten Telefonüberwachung werden die Gespräche aufgezeichnet. Dann steht der Inhalt natürlich zur Verfügung. Deutschland ist ja Weltmeister im Abhören und hat 2005 gegenüber 2004 wieder einen enormen Zuwachs (24%) hingelegt. Das zeigt, wo man mit der Überwachung aller Bürger hinwill. Orwells Visionen sind dagegen geradezu Kinkerlitzchen.

advisor schrieb:
Wenn die Ermittlungsbehörden jemanden mit dem ich telefoniert habe, eines entsprechenden Deliktes verdächtigen, dann können sie mich sicher als Zeugen zum Gesprächsinhalt vernehmen.
Das kommt darauf an. Verlobte, Ehegatten, Kinder haben m. W. ein generelles Aussageverweigerungsrecht. Gibt es Anhaltspunkte für Straftaten, könnten sich die Ermittlungen ja auch gegen den "Zeugen" richten. Der ist also flugs Beschuldigter. Ergo ist es m. E. nicht verkehrt, erst einmal von einem Aussageverweigerungsrecht auszugehen und anwaltlichen Rat einzuholen. Der StA kann dann ggf. sein Glück bei Gericht versuchen, ob man zu einer Aussage zu zwingen ist. Wobei das Erinnerungsvermögen bei Druck ja auch leiden kann. :)

M. Boettcher
 
AW: Umsetzung der EU-Richtlinie führt zum Überwachungsstaat

drboe schrieb:
Bei der richterlich angeordneten Telefonüberwachung werden die Gespräche aufgezeichnet. Dann steht der Inhalt natürlich zur Verfügung. Deutschland ist ja Weltmeister im Abhören und hat 2005 gegenüber 2004 wieder einen enormen Zuwachs (24%) hingelegt. Das zeigt, wo man mit der Überwachung aller Bürger hinwill. Orwells Visionen sind dagegen geradezu Kinkerlitzchen.
http://www.spiegel.de/netzwelt/politik/0,1518,413261,00.html
OFFIZIELLE STATISTIK
Staat im Abhörwahn
Deutsche Fahnder beantragen immer häufiger eine Genehmigung zum Abhören von Telefonen, zur Überwachung von E-Mail und Internetkonten - und bekommen sie auch genehmigt. Besonders betroffen seien der Bundesnetzagentur zufolge Mobiltelefone.
0,1020,617016,00.jpg


cp
Gemeldet und erfasst werden von der Bundesnetzagentur also nur "erfolgreiche" Anträge der Fahnder, die zu einer entsprechenden richterlichen Anordnung führten. Die Gesamtzahl der Anträge auf Überwachung wird dagegen mit dieser Statistik nicht erfasst.
PS:
 
AW: Umsetzung der EU-Richtlinie führt zum Überwachungsstaat

drboe schrieb:
Ergo ist es m. E. nicht verkehrt, erst einmal von einem Aussageverweigerungsrecht auszugehen und anwaltlichen Rat einzuholen.
So weit die Theorie. In der Regel sind die Vernehmer aber gut geschulte routinierte alte Hasen. Man wird -wenn es sich um Schwerkriminalität handelt- tief in die Trickkiste greifen, um die Persönlichkeit des Zeugen so tief zu verunsichern, daß er aussagt. Und wen erfreut schon die Aussicht auf Zwangshaft (oder Ordnungsgeld)?
 
AW: Umsetzung der EU-Richtlinie führt zum Überwachungsstaat

advisor schrieb:
drboe schrieb:
Ergo ist es m. E. nicht verkehrt, erst einmal von einem Aussageverweigerungsrecht auszugehen und anwaltlichen Rat einzuholen.
So weit die Theorie. In der Regel sind die Vernehmer aber gut geschulte routinierte alte Hasen. Man wird -wenn es sich um Schwerkriminalität handelt- tief in die Trickkiste greifen, um die Persönlichkeit des Zeugen so tief zu verunsichern, daß er aussagt. Und wen erfreut schon die Aussicht auf Zwangshaft (oder Ordnungsgeld)?
Das ist richtig. Deshalb ist es nützlich dem verbreiteten Fernsehkrimibild einer Zeugen- oder Beschuldigtenvernehmung entgegen zu wirken. Zunächst hartnäckig zu schweigen und lediglich zur Person auszusagen (Name, Geburtsdatum, Wohnort) schadet in der Regel nicht. Man muss schließlich erst einmal den eigenen Status und das Risiko klären (z. B. das einer Teilnahme an was auch immer beschuldigt zu werden, Verwandte zu belasten usw.). Zwangshaft oder ein Ordnungsgeld kann nicht vom vernehmenden Beamten verhängt werden. Dazu braucht es einen richterlichen Beschluss. Die Kriminalpolizei kann weder das Erscheinen selbst noch eine Aussage erzwingen. Als Zeuge geht man also je nach dem Umständen gar nicht hin und selbst wenn man Aussagen verweigert im Anschluß nach Hause. Bis zu einem Beschluss hat man längst Kontakt zu einem Anwalt und der wird klären, ob man aussagen muss oder nicht. (Bei eheähnlichen Gemeinschaften besteht übrigens kein Aussageverweigerungsrecht. Ist man verlobt, so hat man es. So konservativ ist das Strafrecht. Verrückte Welt!) Gegen Beschlüsse Ordnungsmittel anzuwenden sind natürlich Rechtsmittel möglich. Man wandert als nicht sofort in den Knast, wenn man schweigt.
Einer "Einladung" der Kriminalpolizei zum Verhör muss man nicht einmal folgen. Auch Vernehmungen am Tatort oder in der eigenen Wohnung muss man nicht dulden. Das putzt aber ungemein in Fernsehkrimis, wo der Kommissar den Harten gibt. Die Polizei unternimmt meist wenig bis nichts, den Zeugen von seinem Weigerungsrecht in Kenntnis zu setzen. Die Formulierungen auf entsprechenden Einladungen verstärken vielmehr den Eindruck, man müsse bei der Kripo erscheinen ("leisten Sie der Ladung keine Folge, so kann Vorführung veranlaßt werden"). Naiv rechnet man als Bürger natürlich mit sofortigem Zwang. Die Realität ist - glücklicher Weise - anders. Beim StA oder Richter muss man mit Ordnungsmitteln rechnen (die der StA beantragen, der Richter anordnen kann), wenn man sich (als Zeuge) weigert auszusagen. Nicht sanktioniert werden kann aber fehlende Erinnerung.

M. Boettcher
 
AW: Umsetzung der EU-Richtlinie führt zum Überwachungsstaat

drboe schrieb:
Zunächst hartnäckig zu schweigen und lediglich zur Person auszusagen (Name, Geburtsdatum, Wohnort) schadet in der Regel nicht. Man muss schließlich erst einmal den eigenen Status und das Risiko klären (z. B. das einer Teilnahme an was auch immer beschuldigt zu werden, Verwandte zu belasten usw.).
Oben hat TK-Insider ja darauf hingewiesen: "Leider ist auch dieses Thema, wie die gesamte TKG-Regulierung, viel zu komplex und ggf. emotionsbeladen..."

Jeder hat einen bestimmten Hintergrund im Sinn, wenn er argumentiert. Der eine denkt an eine anonyme falsche Anschuldigung oder eine Verwechslung, der andere an einen Vorfall wie jüngst in Potsdam. Und dann hat jeder Recht. "In der Regel" schadet der Vorschlag von drboe sehr wohl, hartnäckig zu schweigen. Wenn das größte Problem der Ermittler darin besteht, Täterhinweise von Zeugen zu kriegen, dann gute Nacht.

In der Tendenz ähnlich die Diskussion um Totalüberwachung des Zahlungsverkehrs


OFFIZIELLE STATISTIK
Staat im Abhörwahn
...
Es sollte nicht vergessen gehen, dass manche heutzutage ihre SIM-Karte öfter wechseln als die Unterwäsche. Gegen Abhörwahn spricht doch die kontinuierliche Zahl der Festnetz-Genehmigungen.
 
AW: Umsetzung der EU-Richtlinie führt zum Überwachungsstaat

johinos schrieb:
Jeder hat einen bestimmten Hintergrund im Sinn, wenn er argumentiert. Der eine denkt an eine anonyme falsche Anschuldigung oder eine Verwechslung, der andere an einen Vorfall wie jüngst in Potsdam. Und dann hat jeder Recht. "In der Regel" schadet der Vorschlag von drboe sehr wohl, hartnäckig zu schweigen. Wenn das größte Problem der Ermittler darin besteht, Täterhinweise von Zeugen zu kriegen, dann gute Nacht.
Es geht hier um die Frage, wie man sich verhält, wenn die Ermittlungsbehörden jemanden mit dem ich telefoniert habe, eines entsprechenden Deliktes verdächtigen und sie mich als Zeugen zum Gesprächsinhalt vernehmen wollen.

Wenn ich als Zeuge einer Straftat bezeichnet werde, aber auf Grund der Umstände (abhören) gar nicht einschätzen kann, ob ich mich mit einer Aussage gefährde, ob ich im Zuge der Ermittlungen selbst als Beschuldigter in den Fokus der Untersuchungen gerate könnte oder auf Grund anderer, mir zu dem Zeitpunkt nicht bekannter Umstände ggf. ein Zeugnisverweigerungsrecht habe, dann ist es das Beste für mich selbst und für meine Angehörigen, zunächst die Klappe zu halten, bis ich über die Informationen verfüge, die mich in die Lage versetzt meinen Status in der Angelegenheit eindeutig festzustellen. Das hat mit meiner allgemeinen Bereitschaft zur Unterstützung der Behörden bei der Ermittlung in Strafsachen, deren Zeuge ich werde, gar nichts zu tun. Wenn man durch Kommunikationsüberwachung feststellt, dass ich mich mit einem einer Straftat Verdächtigten unterhalten habe, ist für mich der Status "Zeuge" objektiv gar nicht erkennbar. Dagegen besteht sehr wohl die realistische Gefahr zum Beschuldigten zu werden. Ich werde den Teufel tun, mich durch unbedachte Äußerungen solcher Situation näher zu bringen. Ergo werde ich einen Profi befragen müssen, wie ich mich richtig - in meinem Interesse - verhalte. Und vorher geht gar nichts.

Und was den Fall einer Schlägerei wie in Potsdam angeht, so ist selbst da die Zeugenposition nicht ohne Risiko. Es könnte nämlich Ermittlungen wegen unterlassener Hilfeleistung auslösen. Hilft man aber, dann geht es einem u. U. wie dem couragierten Bürger, der hier in Hamburg einem Mann helfen wollte, der von mehreren finsteren Kerlen brutal attakiert wurde und in ein Auto gezerrt werden sollte. Die "Kerle" waren nämlich Zivilfahnder und der Mann fand sich kurz danach nicht nur selbst in einer Zelle neben dem Festgenommenen wieder, sondern musste sich auch noch gegen den Vorwurf seines Angriffs auf Beamte wehren. Soweit zur von Politikern bei entsprechenden Anlässen gern und möglichst öffentlich geforderten Zivilcourage.

M. Boettcher
 
AW: Umsetzung der EU-Richtlinie führt zum Überwachungsstaat

drboe schrieb:
Zwangshaft oder ein Ordnungsgeld kann nicht vom vernehmenden Beamten verhängt werden. Dazu braucht es einen richterlichen Beschluss. Die Kriminalpolizei kann weder das Erscheinen selbst noch eine Aussage erzwingen. Als Zeuge geht man also je nach dem Umständen gar nicht hin und selbst wenn man Aussagen verweigert im Anschluß nach Hause.
Es ist zwar richtig, daß die Polizei weder das Erscheinen, noch die Aussage erzwingen kann. In Eilfällen kann die Polizei sich unmittelbar an den zuständigen Richter am Amtsgericht wenden. Dann ist der Beschluß innerhalb weniger Stunden da und der Zeuge muß ggfs vor dem Richter aussagen. In weniger eiligen Fällen wendet sich die Polizei an die Staatsanwaltschaft. Ggü der StA ist der Zeuge zum Erscheinen und zur Aussage verpflichtet; auch wenn die StA ihn unangemeldet besucht (es sei denn er hat ein Zeugnisverweigerungsrecht oder ein Auskunftsverweigerungsrecht). Ob ein Auskunftsverweigerungsrecht (zB weil sich der Zeuge selbst eine Straftat verdächtig macht) entscheidet die StA. Die StA kann auch selbst Ordnungsgeld verhängen. Die Zwangshaft setzt allerdings der Richter fest.

Wenn es um ein Verbrechen oder um Vergehen von erheblicher Bedeutung geht, dann hat der Zeuge ein Recht auf Beiordnung eines Zeugenbeistandes.
 
AW: Umsetzung der EU-Richtlinie führt zum Überwachungsstaat

advisor schrieb:
Es ist zwar richtig, daß die Polizei weder das Erscheinen, noch die Aussage erzwingen kann. In Eilfällen kann die Polizei sich unmittelbar an den zuständigen Richter am Amtsgericht wenden. Dann ist der Beschluß innerhalb weniger Stunden da und der Zeuge muß ggfs vor dem Richter aussagen. In weniger eiligen Fällen wendet sich die Polizei an die Staatsanwaltschaft. Ggü der StA ist der Zeuge zum Erscheinen und zur Aussage verpflichtet; auch wenn die StA ihn unangemeldet besucht (es sei denn er hat ein Zeugnisverweigerungsrecht oder ein Auskunftsverweigerungsrecht). Ob ein Auskunftsverweigerungsrecht (zB weil sich der Zeuge selbst eine Straftat verdächtig macht) entscheidet die StA. Die StA kann auch selbst Ordnungsgeld verhängen. Die Zwangshaft setzt allerdings der Richter fest.

Wenn es um ein Verbrechen oder um Vergehen von erheblicher Bedeutung geht, dann hat der Zeuge ein Recht auf Beiordnung eines Zeugenbeistandes.
M. E. nicht nur dann. Ein Zeuge kann, gerade in den Fällen der hier fraglichen Telefonüberwachung, in denen er m. E. die Zeugenschaft nicht aus eigener Kenntnis prüfen bzw. bestätigen kann, aus seiner Position fast nie erkennen, ob seine Aussage nützlich oder schädlich (auch für ihn) ist. Wenn er die Ausübung eines möglicher Weise existierenden Zeugnisverweigerungsrechtes davon abhängig machen will, sollte er vor der Vernehmung einen RA befragen. Es ist anerkannt, dass der Zeuge vor der Vernehmung anwaltlichen Rat einholen kann und dass er auch mit seinem Anwalt zur Vernehmung erscheinen kann. Man kann die Vernehmung auch unterbrechen, um sich erneut mit seinem Anwalt unter 4 Augen zu beraten.

Da in den Fällen, wo es um Inhalte von Gesprächen geht, an denen man selbst beteiligt war (Telefonat, Chat), immer die Gefahr der Selbstbelastung (oder der Belastung von Angehörigen) besteht, gehe ich davon aus, dass in den Fällen ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Regel zu bejahen ist. Dabei reicht bereits die Gefahr der Strafverfolgung aus, das Schweigerecht zu begründen. Es ist m. E. auch nicht so, dass der StA entscheidet, ob ein solches Recht besteht. Im Zweifelsfall muss der StA sich nämlich mit der beeideten Aussage zufrieden geben, man würde sich der Gefahr einer Strafverfolgung ausetzen, weil schon der Versuch zu erklären, warum das besteht, Anhaltspunkte für eine Strafverfolgung geben kann. Gerade auch, weil man in der Regel Telefonate mit einer Person führt.

Ich sehe das übrigens nicht als Hauptproblem einer Vorratsdatenspeicherung an. Wenn Wochen oder Monate nach einer Kommunikation eine Vorladung kommt, kann man in der Regel mit Fug und Recht sagen, dass man sich an den Gesprächsinhalt nicht erinnern kann.

M. Boettcher
 
AW: Umsetzung der EU-Richtlinie führt zum Überwachungsstaat

drboe schrieb:
Es ist m. E. auch nicht so, dass der StA entscheidet, ob ein solches Recht besteht. Im Zweifelsfall muss der StA sich nämlich mit der beeideten Aussage zufrieden geben, man würde sich der Gefahr einer Strafverfolgung ausetzen
Nun, dem StA stehen ggü einem aussageunwilligen Zeugen Maßregeln zu (§§ 161 a II 1, 51, 70 StPO). Ob deren Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen, entscheidet der Staatsanwalt, und nicht der Zeuge. Unter § 70 StPO fällt ürbigens auch eine vorgetäuschte Erinnerungslücke. Wenn der Zeuge meint, daß ihm bei wahrheitsgemäßer Aussage ein Ermittlungsverfahren droht, dann muß er seine Annahme glaubhaft machen (zB durch eidesstattliche Versicherung). Vorher muß der Zeuge sich übrigens die einzelnen Fragen angehört haben.

Allerdings muß der Zeuge dann ggfs damit leben, daß die Polizei Lunte riecht und versuchen wird, die unbeantworteten Fragen durch Ermittlungen gegen ihn zum Beispiel im seinem Umfeld zu klären.

Natürlich kannst du mit deinem Anwalt zur Vernehmung erscheinen. Wenn du ohne Anwalt hingehst, dann besteht allerdings bei einer staatsanwaltschaftlichen oder gerichtlichen Vernehmung wegen eines Verbrechens für das jeweilige Staatsorgan die Pflicht, dem Zeugen auf Antrag einen Anwalt zu beizuordnen (vgl § 68b StPO).
 
Möglicher Trend aus einer IP-Vorratsdatenspeicherung

drboe schrieb:
1. Quoting beachten
2. Was willst Du damit eigentlich erklären? IP-Netzwerke?
3. Einmal erfaßt die geplante Vorratsdatenspeicherung alle Kommunikationsnetze, nicht nur solche auf IP-Basis. Zum anderen will niemand etwas "überschreiben". Man will eine Kopie, und zwar bezogen auf IP-Traffic von den Daten, wie sie beim IP-Billing anfallen. M. Boettcher
Ich wollte zunächst einmal verständlich machen, das im IP-Betrieb keine einfach zu separierende und damit leicht speichernden Vorratsdaten (z.B. Start-Stopp-Datensätze bei der Leitungsvermittlung) mit ausschließlich Verbindungsinformationen existieren. Es reicht bei gerouteten oder geswitchten Netzstrukturen, erst recht nicht bei mehreren trassendisjunkten Netzübergangspunkten, im erweiterten Sinne eines Volumenbillings nur die Pakete zu zählen. Ein Duplizieren jeder IP-Datenübertragung (ohne Nutzdatenanteil!) wäre ein konzeptioneller Vorratsdatenansatz, aber technisch sehr anspruchsvoll.
Mann will ja alles wissen, wobei abhängig von der variablen Nutzdatenlänge ein oder mehrere IP-Pakete zu übertragen sind. Allein dieser Umstand macht es erforderlich, alle übertragenen IP-Header zu bewerten!
Gerade wenn formale Betriebsauflagen derzeit technisch nicht abbildbar (Datenmenge, Geschwindigkeit, etc.) erscheinen, ist es besonders gefährlich wenn plakative Forderungen den Status einer gesetzlichen Vorgabe erhalten. Später im Regelfall auf eine bestehende Rechtsgrundlage aus der Vergangenheit hingewiesen, die ja allen bekannt sein dürfte, die verdeckt im Hintergrund (in Richtung Totalüberwachung) nach und nach über diverse Herstellerentwicklungen, die sich selbst über ihren fachspezifischen Einsatz ein lohnendes Geschäft versprechen, umgesetzt werden.
Wenn derartige Techniken erst einmal da sind, werden sie auch genutzt. Ein Grund findet sich immer. Dann dürfte es für die informelle Selbstbestimmung endgültig zu spät sein.
 
AW: Möglicher Trend aus einer IP-Vorratsdatenspeicherung

Jupp schrieb:
Später im Regelfall auf eine bestehende Rechtsgrundlage aus der Vergangenheit hingewiesen, die ja allen bekannt sein dürfte, die verdeckt im Hintergrund (in Richtung Totalüberwachung) nach und nach über diverse Herstellerentwicklungen, die sich selbst über ihren fachspezifischen Einsatz ein lohnendes Geschäft versprechen, umgesetzt werden.
Wenn derartige Techniken erst einmal da sind, werden sie auch genutzt.

...kann ich mir an dieser Stelle das IP-Billing vorstellen?
 
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