AW: Wieviel Sozialstaat können wir uns noch leisten
jupp11 schrieb:
http://www.heise.de/newsticker/meldung/80127
Der hat bestimmt kein Problem mit der Altersversorgung.
Auch wenn ich bezweifle, dass A.s Arbeit den genannten jährlichen Betrag wert ist, bin ich nicht neidisch. Geld allein soll ja nicht glücklich machen und genug hat man wohl sehr weit unterhalb des Betrages. Inzwischen dürfte A. ein Vermögen angehäuft haben, dass auch bei Kaufräuschen im Leben kaum auszugeben ist. Die Erben werden sich also freuen.
Da aktuell die sicher nicht letzte "Gesundheitsreform" Thema ist, ein wenig Statistik. Unter
http://www.sozialpolitik-aktuell.de/grafik_aktuell.shtml findet man u. a. die Entwicklung der Kosten des Gesundheitswesens (Bild unter
http://www.sozialpolitik-aktuell.de/bilder/VI/abb/abbVI11klein.gif ). Dazu ein Zitat:
In Deutschland ist, wie in den meisten anderen Industriestaaten auch, ein kontinuierlicher Anstieg der Gesundheitsausgaben zu beobachten. Im hier abgebildeten Zeitraum von 1995 bis 2004 ist eine Zunahme um 47,5 Mrd. Euro zu beobachten, das Ausgabenvolumen hat sich seit 1995 demnach um gut ein Viertel (25,5%) erhöht.
Nicht selten ist in diesem Zusammenhang von einer „Explosion“ der Kosten für das Gesundheitswesen die Rede. Zur Beantwortung der Frage, ob die Kosten für das Gesundheitssystem außer Kontrolle geraten sind und der Zuwachs bedrohliche Maße angenommen hat, ist es sinnvoll, diese mit der gesamten Wirtschaftskraft in Relation zu setzen.
Interessant an der Grafik ist, das der Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP nahezu konstant bleibt, was ein wenig am Bild der "Explosion" kratzt, mit der die meisten sicher eine Verschiebung der Anteile verbinden. Ähnliche Grafiken z. B. für Verkehrswege, die Bundeswehr oder die Kosten der Parlamente würden mich interessieren.
Es ist sicher so, das dass Gesundheitssystem in Deutschland Schwächen hat. Ich bezweifle aber, dass wir uns eine gute Versorgung nicht leisten können. Gehören wir doch laut Focus zu den Gewinnern der Globalisierung (
http://focus.msn.de/finanzen/steuern/globalisierung). Z. B. fordert das derzeitige Gesundheitssystem zum Mißbrauch geradezu heraus, weil es den Bock (Arzt) zum Gärtner macht. Angeblich wegen des Datenschutzes weiß z. B. eine Krankenkasse in Deutschland nicht, welche Kosten für welche Leistungen sie bei welchem Versicherten bezahlt hat. Dagegen ist eine private Krankenversicherung darüber natürlich bestens informiert, weil jeder Versicherte die Rechnungen vorlegen muss. Ob privat Versicherte wohl einen geringeren Anspruch auf Datenschutz haben?
Die häufig publizierten Modellrechnungen zur Altersentwicklung und der daraus folgenden Belastungen sind merkwürdig einseitig. Die jeweils aktiv im Arbeitsleben stehende Generation zahlt ja nicht nur die Renten, sondern für jeden, der nicht arbeitet. Wenn weniger Kinder geboren werden, folglich auch für weniger junge Menschen, für weniger Kindergärten, Schulen, Lehrer, Unis usw. Natürlich kann es sein, dass dies die finanziellen Belastungen nicht völlig kompensiert. Aber es fällt auf, dass dies in der Diskussion so gut wie nie betrachtet wird. Statt dessen wird einseitig auf den drohenden "Rentnerberg" gesehen und ein monokausaler Zusammenhang zwischen Geburten und Belastungen konstruiert. Nun werden Renten und andere Beträge des Sozialsystems aber nicht über "Nettoreproduktisonraten" der Frauen erwirtschaftet, sondern nur dann, wenn die Menschen auch Arbeit haben und damit als Einzahler in die Sozialkassen aktiv sind. Wären nun mehr Kinder in den 80er Jahren geboren worden, so fürchte ich, es würden heute wohl deutlich mehr als 50.000 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz darstehen.
Vorhandene Probleme des Sozialsystems werden von interessierter Seite bewußt als gigantisch, als nahezu unlösbar beschrieben und die Ursache der "Misere" der Staatsnähe der entsprechenden Einrichtungen zugeschrieben. Den Beweis, dass es privat organisiert besser ginge, bleibt man aber regelmäßig schuldig. Das Trommeln wird aber immerhin verständlich, wenn man sich in die Situation z. B. privater Versicherungen versetzt. Die sehen, dass der größte Teil des "Vorsorge-Kuchens" an ihnen vorbei geht. Um davon größere Anteile in die eigenen Kassen umzulenken, muss die Politik beeinflußt werden, was seit Jahren auch nachdrücklich geschieht.
Was mich an den Diskusionen in Funk, Fernsehen, Zeitungen mit am meisten stört ist, dass sie vom Marketing immer weniger unterscheidbar werden. Man erfährt weder etwas über die Quellen der angeblichen Tatsachen noch etwas über die Auftraggeber und Interessen der jeweiligen "Fachleute". Mich persönlich macht das vor allem misstrauisch. Wobei es leider nur in Einzelfällen gelingt Behauptungen in solchen Beiträgen zu bestätigen oder zu widerlegen. Man hat da schlicht schon ein Zeitproblem. Insofern sind für mich Berichte wie
http://www.wdr.de/tv/monitor/beitrag.phtml?bid=836&sid=153 erhellend, aus denen sich ein kleiner Einblick ergibt, wie hier (und vermutlich längst auch auf EU-Ebene) von Interessensgruppen Gesetze gemacht werden.
Um die Aussagen der vielfach zitierten Fachleute auch ganz praktisch zu beleuchten, zum Schluß noch ein Zitat aus einer Mail eines österreichischen Fachmanns für die sogn. Schattenwirtschaft, auf den man sich in den Redaktionen immer gern bezieht, wenn man zum Thema ein wenig Grusel erzeugen will. Er schrieb mir:
Wir erheben Ziffern, die auf menschliche Aktivitäten beruhen. Diese sind immer unvollkommen und wenig exakt. Insbesondere die Schätzungen zur Schattenwirtschaft sind außerordentlich schwierig und mühsam. Häufig ist es frustrierend, weil man überhaupt nichts herausbekommt und mit aus diesem Grund ist auch die Kommunikation in der Öffentlichkeit so schwierig.
Ausgangspunkt des Dialogs war übrigens mein Versuch, anhand er im Hamburger Abendblatt publizierten Angaben des Professors die Auswirkungen auf Hamburg zu ermitteln und die behaupteten Milliardenverluste für die gesamte Republik zu bestätigen. Das Ergebnis der Berechnungen war etwas verblüffend aber nicht gänzlich unerwartet:
drboe wg. HA schrieb:
Sie verzeihen einem alten Mathematiker sicher, daß er den Faktor 3, mit dem auch bei dieser Rechnung die Milliarde verfehlt wird, weiterhin zum Anlaß nimmt, die Behauptung, dem Fiskus würden so jährlich "mehrere Milliarden Euro" an Steuereinnahmen entgehen, in Frage zu stellen und bei der Kritik an den Machern des Blattes zu bleiben.
M. Boettcher