BGH rügt "Schnäppchenjagd" im Gerichtssaal

Deal, no deal?
http://www.edv-workshop.de/nav/news/art12/art-1205-01.htm

No Deal of Dialer

2002 bis 2003 haben die Angeklagten "Autodialer" eingesetzt.

[...]
Einen breiten Raum im Urteil des BGH nehmen die Ausführungen zur durchgreifenden Verfahrensrüge der Staatsanwaltschaft ein. Der Vorsitzende des Gerichts war befangen und die Zurückweisung des staatsanwaltschaftlichen Ablehnungsgesuches hätte nicht verworfen werden dürfen.
Der Fall ist ein plakatives Beispiel dafür, wie sich ein Gericht durch entgegenkommende Milde bei einem Angeklagten anbiedert. Am ersten Verhandlungstag wurde über eine Verständigung verhandelt, wobei wegen drei der vier Angeklagten ein Einverständnis erzielt wurde. Darauf verlas der Verteidiger des verbleibenden Hauptangeklagten eine Erklärung und der Angeklagte beantwortete Fragen des Gerichts. Sein Verteidiger erklärte danach, der Angeklagte wolle keine weiteren Fragen beantworten <Rn 5>.
Der Vorsitzende drängte auf einen schnellen Verfahrensabschluss und darauf, dass nur ein einziger Polizist als Zeuge gehört werden solle. Darüber kam es zum Disput. Als daraufhin der Staatsanwalt seine abweichende Auffassung wiederholte, warf der Vorsitzende ihm ungehalten vor, sich "unanständig" zu verhalten und die anderen Verteidiger "in Sippenhaft zu nehmen" <Rn 6>. Für Fragen der Staatsanwaltschaft an den Angeklagten ließ der Vorsitzende zehn Minuten Zeit. (...)
Der Staatsanwalt lehnte darauf außerhalb der Haupthandlung, aber zulässig, den Vorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Das Meint auch der BGH <Rn 12>:
Nach dem Verlauf des ersten Hauptverhandlungstages musste sich der Staatsanwaltschaft die Besorgnis aufdrängen, der Vorsitzende ziehe eine schnelle Prozesserledigung ohne Beachtung ihrer prozessualen Beteiligtenrechte einer sachgemäßen Aufklärung der Anklagevorwürfe vor. (...)

Der geschilderte Fall ist ein extremes Beispiel für ein schuldunangemessenes Entgegenkommen gegenüber einem Angeklagten. Je komplizierter eine Materie ist, desto geneigter sind viele Gerichte, Milde walten zu lassen. Das ist auch nicht falsch, weil der unsinnige Einsatz von personellen Ressourcen im Strafverfahren kann nicht der Sinn der Sache sein. Bei einem Schaden von 12 Mio. Euro konnte eine Freiheitsstrafe mit Strafaussetzung zur Bewährung auch bei einem umfassenden Geständnis (was nicht erfolgte) und anderen Strafmilderungsgründen nicht ernsthaft erwogen werden (3).
Diesem Staatsanwalt würde ich gerne das aka-aka'sche Verdienstkreuz verleihen. Andere Staasanwälte, ich erinnere an den Staatsanwalt beim Dialerprozess in Hamburg, verkaufen lächerliche Strafen als Erfolge, fragen nicht nach den Hintergründen und entlassen Millionenbetrüger in eine Weltreise im Privatflieger.
Der BGH erweist sich hier - passend zum Verhandlungsort Osnabrück - als Justitia ohne Augenbinde. Auch dafür Beifall von meiner Seite. Nur das Geld... Das ist in Riga... oder... auch nicht...

Quellen:
http://juris.bundesgerichtshof.de/c...tum=Aktuell&Sort=12288&nr=60100&pos=2&anz=666
http://www.edv-workshop.de/nav/news/art12/art-1205-01.htm
http://www.mt-online.de/start/letzt...teraner_wegen_Computerbetrugs_verurteilt.html


Oh, ich habe übersehen, dass dies schon vom MÄRZ ist, ich hatte es offenbar übersehen. Ging auch anderen (fast) so:
http://www.jurablogs.com/de/ablehnu...-oder-liest-man-selten-erfolgreiche-ablehnung

Bei Durchsicht der BGH-Rechtsprechung wollte ich den BGH, Beschl. v. 29.03.2012 – 3 StR 455/11 – schon “wegklicken”, habe dann aber doch wegen der angesprochenen Ablehnungsproblematik rein geschaut. Und siehe da: Berichtenswert.

Sehr deutlich auch:
“Im Übrigen erscheint dem Senat nach den Strafzumessungsgründen – insbesondere im Hinblick auf den hohen Gesamtschaden von über 12.000.000 € auch unter Berücksichtigung der strafmildernden Gesichtspunkte – die Strafe unverhältnismäßig milde.”
Da könnte ich dem Senat gleich noch ein paar Deals liefern, die mit der Bezeichnung unverhältnismäßig milde treffend beschrieben werden. Ich erinnere mal an den Dänen in München. Vormittags redete man noch von Zeugenvernehmung der Mehrwertnummernfirmen und nach der Mittagspause wurde der Angeklagte nach einem zusammen gestotterten Geständnis mit Tipps verabschiedet, wie man schnell zum Flughafen kommt.

Sein Anwalt hatte es eilig: "Komm, wir müssen gehen". Der geständige Dialerbetrüger Christian M. ("Knoedel Holding/Copiosus", "Secure Tele Transfer/Dialacom", "Gaza Media" u.a.) hatte noch Zeit für eine persönliche Erklärung "Ich entschuldige mich bei allen Geschädigten. Als Geschäftsführer der Firmen trage ich die Verantwortung. Ich respektiere die Entscheidung des Gerichts".

Gerade eben war er in einem weiteren "Dänischen Deal" zu einer Bewährungsstrafe von 18 Monaten und einer Geldstrafe von 20.000 Euro verurteilt worden wegen eines besonders schweren Falles von Computerbetrug.

Von November 2002 bis März 2003 bzw. von Februar bis Mai 2003 sorgten die "dänischen Dialer" mit den Rufnummern 0190050120 und 0190092102 für viele Beschwerden auch hier im Forum. Zusammen mit seinen deutschen Partnern Q1 Deutschland, MCN-Tele und Talkline wurden mehrere Millionen Euro Umsatz "erwirtschaftet".

Leider wurde durch die Absprache mit der Staatsanwaltschaft einmal mehr (und damit wohl zum letzten Mal) die Klärung der Frage verhindert, wie das genau lief mit den Betrügedialern. Zeugen wie H*H*, Th*B* und Th* v* R* brauchen nun nicht mehr gehört werden. Die Bewertung der Dialacom-Meldung, wonach der deutsche Partner noch zu einem Zeitpunkt Gelder ausbezahlt hat, da der Missbrauch bereits bekannt war, ist somit ebenfalls nur noch von historischem Interesse.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Gerichtsentscheidung recht und billig war
 
http://www.spiegel.de/panorama/just...strafprozess-analyse-zum-urteil-a-889800.html


Verfassungsgericht zu Deals im Strafprozess: Blamage für die Justiz
...
Eigentlich soll im Strafprozess die Wahrheit erforscht und - im Fall der Verurteilung - eine der Schuld angemessene Strafe verhängt werden. Dass sich im Strafverfahren das Gericht, die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte nebst seinen Verteidigern darauf verständigen, für ein Geständnis einen vorher avisierten Strafrabatt einzuräumen, ist aus Sicht der Verfassungsrichter zwar nicht ideal, mit Blick auf die hohe Belastung der Justiz aber vertretbar, solange es in einem gewissen Rahmen bleibt.
...
(Die Justiz) dealte munter und ohne Rücksicht auf rechtliche Verluste am Gesetz vorbei.(...)
Am besten gefällt mir dieser Satz, den ich gerne auch außerhalb des gemeinten Sachverhalts der Justiz ins Poesiealbum meißeln will:
Nach dem Grundgesetz sei es nun einmal so, betonten die Verfassungsrichter erkennbar schmallippig, dass "das Recht die Praxis bestimmt und nicht die Praxis das Recht".

Krass auch die Formulierung der Tagesschau:
Wird sich in der Praxis dadurch etwas ändern?
Sicher ist das nicht. Es hängt bei aller verstärkten Kontrolle viel von der Bereitschaft aller Beteiligten in Strafverfahren ab, sich an die gesetzlichen Regeln auch in der Praxis zu halten. Auch wenn das eigentlich selbstverständlich erscheint.
Eine Justiz, die das Recht bricht?
 
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