BGH zu R-Gesprächen

Qoppa

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http://www.r-gespraecheundrecht.de/urteile/_Bundesgerichtshof_20060316.html
Urteil v. 16.03.2006 - Az.: III ZR 152/05

Leitsatz:
1. Der Inhaber eines Telefonanschlusses wird aus den im Wege der Nutzung seines Netzzugangs durch Dritte geschlossenen Telekommunikations-dienstleistungsverträgen - über die Grundsätze der Duldungs- und Anscheinsvollmacht hinausgehend - verpflichtet, wenn er die Inanspruchnahme des Anschlusses zu vertreten hat (§ 16 Abs. 3 Satz 3 TKV).

2. Den Inhaber eines Telefonanschlusses trifft keine Obliegenheit, durch technische Vorkehrungen die Entgegennahme von R-Gesprächen durch Dritte über seinen Netzzugang zu verhindern. Dies mag sich ändern, wenn er die Möglichkeit erhält, sich durch Aufnahme in eine bei der Regulierungsbehörde geführt Sperrliste, die R-Gesprächsanbietern zur Verfügung steht, vor diesem Dienst zu schützen.

3. Ein Recht auf Widerruf der auf Abschluss eines Vertrages über die Herstellung eines R-Gesprächs gerichteten Willenserklärung besteht gemäß § 312d Abs. 3 BGB nicht, wenn der Angerufene das Gespräch durch Wahl einer Tastenkombination am Telefonapparat annimmt.
 
AW: BGH zu R-Gesprächen

Überwiegend verbraucherfreundlich, das Urteil. Aber IMHO bleiben trotzdem Fragen offen.
Qoppa schrieb:
1. Der Inhaber eines Telefonanschlusses wird aus den im Wege der Nutzung seines Netzzugangs durch Dritte geschlossenen Telekommunikations-dienstleistungsverträgen - über die Grundsätze der Duldungs- und Anscheinsvollmacht hinausgehend - verpflichtet, wenn er die Inanspruchnahme des Anschlusses zu vertreten hat (§ 16 Abs. 3 Satz 3 TKV).
Wann hat der Inhaber das zu vertreten? Wenn er einen Dritten ausdrücklich ermächtigt, eingehende Gespräche entgegen zu nehmen, oder hat er es bereits zu vertreten, wenn er Dritten die Gesprächsannahme nicht verunmöglicht?
Qoppa schrieb:
2. Den Inhaber eines Telefonanschlusses trifft keine Obliegenheit, durch technische Vorkehrungen die Entgegennahme von R-Gesprächen durch Dritte über seinen Netzzugang zu verhindern. Dies mag sich ändern, wenn er die Möglichkeit erhält, sich durch Aufnahme in eine bei der Regulierungsbehörde geführt Sperrliste, die R-Gesprächsanbietern zur Verfügung steht, vor diesem Dienst zu schützen.
Sehr gut. Damit wird unterbunden, das man jedem neuen Anbieter hinterher äffeln muß und gleichzeitig bekommt der Sperrvermerk gerichtliche Beweiskraft, für den Fall das sich ein R-Gespräch trotz der Sperre initiieren lässt.
Qoppa schrieb:
3. Ein Recht auf Widerruf der auf Abschluss eines Vertrages über die Herstellung eines R-Gesprächs gerichteten Willenserklärung besteht gemäß § 312d Abs. 3 BGB nicht, wenn der Angerufene das Gespräch durch Wahl einer Tastenkombination am Telefonapparat annimmt.
Brauchbar. So wird unterbunden, das ein R-Gespräch kostenpflichtig wird, wenn ein Kind in den Hörer brabbelt, oder eine AB-Ansage das Jawort gibt.
Auch schützt das Leute vor kostenpflichtigen Überraschungen, die sich grundsätzlich am Telefon mit "Ja" melden, sei es, weil sie eine Geheimnummer haben, oder weil sie einfach voraussetzen das der Anrufer ja zu wissen hat, wessen Nummer er gerade gewählt hat.

Letzteres ist mir ja mal passiert. Ich meldete mich nach dem abheben des Hörers mit "Ja", bekam noch eine rudimentäre Ansage mit, die dann durch das durchstellen des Gesprächspartners, noch vor der Preisansage, abgebrochen wurde. Das Gespräch kam von einer Telefonzelle, wie ich am Sound des Kindergelächters am anderen Ende der Leitung hören konnte. Nach wenigen Sekunden legte ich auf.

Was ich bei diesem Vorfall noch als positiv vermerken kann:
Offenbar hat der Anruf gewisse Kriterien erfüllt (vermutlich zu kurz, evtl zusammen mit der Eigenschaft "Von Telefonzelle"), die dazu führten, das er nicht in Rechnung gestellt wurde (Anbieter war "R-Call by Call").
Wohl wissend, das Posten die von der T-Com für Dritte inkassiert werden, auch mal mit ein- bis zwei Monaten verspätung ihren Weg in die Rechnung finden, hatte ich auch in den Folgemonaten die Rechnungen dahingehend im Auge behalten. Der Anruf blieb gebührenfrei.

MfG
L.
 
AW: BGH zu R-Gesprächen

Nach Aufhebung schickt BGH den Fall in die zweite Runde:

Das Berufungsgericht wird gegebenenfalls weiterhin Feststellungen zu den Voraussetzungen der Nichtigkeit der Rechtsgeschäfte nach § 138 Abs. 1 und 2 BGB zu treffen haben.

Der der Beklagten berechnete Preis von 2,9 Cent pro Sekunde (= 1,74 € pro Minute) ist - zumindest dem ersten Anschein nach - auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Klägerin für R-Gespräche höhere Kosten als gewöhnliche Verbindungsnetzbetreiber hat, auffällig hoch. Hinzu tritt, dass die Vertragsanbahnungssituation überrumpelnd wirken konnte.

Bin ich gespannt was den Landgericht zu Wucher in den nächsten Urteil sagt.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
 
AW: BGH zu R-Gesprächen

Und was gilt, wenn das Entgelt nicht wucherisch überhöht sein sollte:

Der schlichten Gestattung, das häusliche Telefon zu nutzen, ist nicht die positive schlüssige Bevollmächtigung zu entnehmen, Verträge über die automatische Herstellung von R-Gesprächen zu schließen.
Aus der bloßen Unterhaltung eines funktionstüchtigen Telefonanschlusses kann kein Vertrauenstatbestand für die Vollmacht des Nutzers entstehen. Der jeweilige Nutzer bleibt dem Anbieter gegenüber anonym. Diesem ist nicht bekannt, ob der Anschlussinhaber selbst, eine Person, der er den Zugang zum Telefon gestattet hat, oder ein unbefugter Dritter die angebotene Verbindungsdienstleistung in Anspruch nimmt.

Der BGH sieht aber in § 16 Abs. 3 Satz 3 TKV die spezialgesetzliche Grundlage für eine Anscheinshaftung:
Gleichwohl scheidet eine vertragliche Haftung des Anschlussinhabers bei der Inanspruchnahme von Telefondienstleistungen durch seine Familienangehörigen in diesen Konstellationen nicht stets aus.

Der der Anscheinsvollmacht zugrunde liegende Rechtsgedanke, nach dem ein Teilnehmer am Rechtsverkehr für das seiner Risikosphäre zuzurechnende Verhalten Dritter auch vertraglich einzustehen hat, ist im Bereich der Telekommunikationsdienstleistungen über die herkömmlichen Fallgruppen hinaus anwendbar. Diese Besonderheit findet ihren Ausdruck und ihre rechtliche Grundlage in § 16 Abs. 3 Satz 3 TKV.

Danach ist der Anbieter nicht berechtigt, die Verbindungsentgelte vom Kunden zu fordern, wenn der Nachweis erbracht ist, dass der Netzzugang in vom Kunden nicht zu vertretendem Umfang genutzt wurde. Diese Bestimmung grenzt die Risikosphären zwischen dem Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen und dem Anschlusskunden bezüglich des Zugriffs Dritter auf den Netzzugang unter dem objektivierten Gesichtspunkt von einander ab, ob der Kunde die Nutzung seines Anschlusses zu vertreten hat. Auf einen individuell geschaffenen Vertrauenstatbestand kommt es danach im Hinblick auf die Tatsache, dass es sich bei der Erbringung von Verbindungsdienstleistungen um ein praktisch vollständig technisiertes, anonymes Massengeschäft handelt, nicht mehr an.

Für diese spezialgesetzliche Anscheinshaftung kommt es in jedem Einzelfall darauf an, ob der Anschlussinhaber das Handeln Dritter zu vertreten hat. Wenn vor dem Telefonat kein Schuldverhältnis bestand, haftet der Anschlussinhaber entsprechend § 276 Abs. 1 BGB nur für Vorsatz und Fahrlässigkeit:
Danach ist für die Entscheidung maßgeblich, ob die Beklagte vorsätzlich oder fahrlässig die Annahme der R-Gespräche durch ihre Tochter ermöglichte.

Die bewusste Duldung scheidet nach dem revisionsrechtlich zu unterstellenden Sachverhalt aus. Zur Wahrung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) muss der Anschlussinhaber alle ihm zumutbaren geeigneten Vorkehrungen treffen, um eine von ihm nicht gebilligte Nutzung seines Telefons zu unterbinden. Zumutbar sind diejenigen Maßnahmen, die einem gewissenhaften durchschnittlichen Telefonkunden bekannt sind und zu deren Durchführung er mit vertretbarem Aufwand in der Lage ist (vgl. Grabe MMR 2005, 483, 484).

Nach dem derzeitigen Stand besteht schon keine zumutbare Möglichkeit, die Entgegennahme von R-Gesprächen technisch zu unterbinden. (wird ausgeführt)

Pferdefuß des Urteils: Der BGH stellt die Unzumutbarkeit der Schutzmaßnahmen ausdrücklich nur für Juni 2003 fest. Außerdem führt der BGH aus, dass die zum Schutz der Verbraucher geplante Sperrliste für R-Gespräche dazu führen kann, dass der Verbraucher, der sich dort nicht eintragen lässt, für die Entgegennahme von R-Gesprächen durch Familienangehörige einstehen muss:
Der Gesetzentwurf zur Änderung telekommunikationsrechtlicher Vorschriften (BT-Drucks. 15/5213) sieht in Art. 5 Nr. 4b die Einfügung eines § 66i Abs. 2 in das Telekommunikationsgesetz vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190) vor, nach dem die Regulierungsbehörde eine Liste mit Rufnummern von Anschlüssen führt, die von R-Gesprächsdiensten für eingehende R-Gespräche zu sperren sind. Die Aufnahme in diese Liste soll der Kunde über seinen Anbieter von Telekommunikationsdiensten unentgeltlich veranlassen können. Die Regulierungsbehörde soll die Liste den Anbietern von R-Gesprächsdiensten zum Abruf bereit halten.

Sobald die Möglichkeit zur Aufnahme in die bei der Regulierungsbehörde geführte Sperrliste besteht und dies in der Öffentlichkeit bekannt ist, dürfte es einem Anschlussnehmer zumutbar sein, sich auf diese vergleichsweise einfache Weise vor unerwünschten R-Gesprächen zu schützen.
 
AW: BGH zu R-Gesprächen

rolf76 schrieb:
Außerdem führt der BGH aus, dass die zum Schutz der Verbraucher
geplante Sperrliste für R-Gespräche dazu führen kann, dass der Verbraucher, der sich dort
nicht eintragen lässt, für die Entgegennahme von R-Gesprächen durch Familienangehörige einstehen muss:]
Das sehe ich noch lange nicht: Sie müßte m.E vollständig sein, um dem Vorbehalt
des BGH gerecht zu werden. Tranzparenz war aber noch nie ein erstrebenswertes Ziel
der Anbieter im Telekommunikationssektor. Daher sehe ich dem gelassen entgegen.

cp
 
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