Führt eine IP-Vorratsdatenspeicherung zum Überwachungsstaat

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AW: Umsetzung der EU-Richtlinie führt zum Überwachungsstaat

drboe schrieb:
Ein Zeuge kann, gerade in den Fällen der hier fraglichen Telefonüberwachung, in denen er m. E. die Zeugenschaft nicht aus eigener Kenntnis prüfen bzw. bestätigen kann, aus seiner Position fast nie erkennen, ob seine Aussage nützlich oder schädlich (auch für ihn) ist.
Diese Problematik besteht ja bei jeder Zeugenvernehmung, unabhängig vom Anlass. Es steht im Raum, dass der Zeuge etwas weiß, was zur Sachverhaltsklärung dienlich ist. Also wird er befragt, und sei es nur um zu klären, dass er nichts weiß. Warum soll der Zeuge dazu nicht bereit sein, wenn er nicht vorher schon weiß, dass es brenzlig wird?

Der Begriff "Telefonüberwachung" irritiert hier etwas und führt vom eigentlichen Thema, der IP-Vorratsdatenspeicherung, weg. Es ist schade, wenn Diskussionen dadurch verzetteln, dass möglicherweise nicht auszuschließende unerwünschte Nebenwirkungen oder Missbrauchsmöglichkeiten zum Hauptthema werden.

drboe schrieb:
Da in den Fällen, wo es um Inhalte von Gesprächen geht, an denen man selbst beteiligt war (Telefonat, Chat), immer die Gefahr der Selbstbelastung (oder der Belastung von Angehörigen) besteht, gehe ich davon aus, dass in den Fällen ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Regel zu bejahen ist. Dabei reicht bereits die Gefahr der Strafverfolgung aus, das Schweigerecht zu begründen.
Ich habe etwas mehr Vertrauen in die Ehrbarkeit meiner Mitbürger. Ich gehe davon aus, dass die absolute Mehrheit der als Zeugen befragten Mitbürger keine Gefahr läuft, sich durch eine wahrheitsgemäße Aussage zu belasten oder sich auch nur in die Gefahr der Selbstbelastung zu bringen. Das gleiche gilt für mich auch betreffend Angehörige, wenn sich nicht das Verfahren selbst schon gegen einen Angehörigen richtet.

Erschreckend der Gedanke: Jeder Zeuge ein potentieller Krimineller? Nein.
 
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johinos schrieb:
Diese Problematik besteht ja bei jeder Zeugenvernehmung, unabhängig vom Anlass. Es steht im Raum, dass der Zeuge etwas weiß, was zur Sachverhaltsklärung dienlich ist. Also wird er befragt, und sei es nur um zu klären, dass er nichts weiß. Warum soll der Zeuge dazu nicht bereit sein, wenn er nicht vorher schon weiß, dass es brenzlig wird?
Weil er - wir reden hier von Kommunikation über Netze und nicht von einem Unfall mit Kfz oder dem Tötungsdelikt im Haus gegenüber - nicht weiß, ob er im Zuge der Ermittlungen durch seine Aussage zum Beschuldigten wird. Bei einem Verkehrsunfall oder Tötungsdelikt dürfte er das aber wissen.

johinos schrieb:
Der Begriff "Telefonüberwachung" irritiert hier etwas und führt vom eigentlichen Thema, der IP-Vorratsdatenspeicherung, weg. Es ist schade, wenn Diskussionen dadurch verzetteln, dass möglicherweise nicht auszuschließende unerwünschte Nebenwirkungen oder Missbrauchsmöglichkeiten zum Hauptthema werden.
Ob man das Ettikett Vorratsdatenspeicherung (ohne IP) benutzt oder Telefonüberwachung ist mir schnurz. Faktisch findet mit der sogn. Vorratsdatenspeicherung eine umfassende Überwachung statt. Dass man dabei die Inhalte (noch) nicht speichert, dürfte einzig an den Kapazitäten, nicht am Willen scheitern.

johinos schrieb:
drboe schrieb:
Da in den Fällen, wo es um Inhalte von Gesprächen geht, an denen man selbst beteiligt war (Telefonat, Chat), immer die Gefahr der Selbstbelastung (oder der Belastung von Angehörigen) besteht, gehe ich davon aus, dass in den Fällen ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Regel zu bejahen ist. Dabei reicht bereits die Gefahr der Strafverfolgung aus, das Schweigerecht zu begründen.
Ich habe etwas mehr Vertrauen in die Ehrbarkeit meiner Mitbürger. Ich gehe davon aus, dass die absolute Mehrheit der als Zeugen befragten Mitbürger keine Gefahr läuft, sich durch eine wahrheitsgemäße Aussage zu belasten oder sich auch nur in die Gefahr der Selbstbelastung zu bringen. Das gleiche gilt für mich auch betreffend Angehörige, wenn sich nicht das Verfahren selbst schon gegen einen Angehörigen richtet.
Ein naiver Standpunkt ist natürlich zulässig. Ich bin bezüglich der Ehrbarkeit/Anständigkeit unserer Mitbürger auch völlig Deiner Meinung. Die Politik hat sich nun aber entschlossen, dies anders zu sehen. Gerade in Deutschland hat man nun verhältnismäßig wenig Veranlassung, dem Staat und seinen Organen über den Weg zu trauen. Und genau da liegt der Hase beim Hund. Übrigens: Das ehrbare Kalb wird wohl auch nicht damit rechnen, geschlachtet zu werden. Woher mag also das Kalbfleisch kommen?

johinos schrieb:
Erschreckend der Gedanke: Jeder Zeuge ein potentieller Krimineller? Nein.
Wieso nein? Exakt das ist der Ansatz, der hinter der sogn. Vorratsdatenspeicherung liegt. Die Kriminalisierung aller Bürger und ganz alltäglicher Vorgänge. Und nicht nur bei diesem Gesetzesvorhaben wird deutlich, dass alle Bürger der EU im allgemeinen und von Deutschland im Besonderen als potentielle Kriminelle und Risiko eingeschätzt werden. Genau das ist der Grund, warum ich die Vorratsdatenspeicherung ablehne. Wie auch eine Reihe andere Gesetze und Maßnahmen, die, in den letzten Jahren beschlossen, die Sicherheit hier angeblich erhöhen sollen, in Wahrheit aber bürgerliche Freiheiten abbauen.

M. Boettcher
 
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drboe schrieb:
Exakt das ist der Ansatz, der hinter der sogn. Vorratsdatenspeicherung liegt. Die Kriminalisierung aller Bürger und ganz alltäglicher Vorgänge.
Zustimmung. Die Kriminalisierung der Bürger erfolgt mittels §§ 129 f StGB (Bildung krimineller Vereinigungen). Und da reicht es für Ermittlungen aus, daß es Anhaltspunkte für eine verdeckte Beteiligung oder Unterstützung gibt. Reicht das Belastungsmaterial zur Einleitung eines Verfahrens nicht, dann kann der Verdächtige formell als Zeuge vernommen werden.

Ich sehe in den sogenannten Terrorbekämpfungsgesetzen nur eines: Eine unerträgliche Gefahr für die demokratische Entwicklung des Landes.
 
Führt eine Vorratsdatenspeicherung für IP-Netze zum Überwachungsstaat

TK-Insider schrieb:
Bisher stand "nur" die gedankliche Realisierung innerhalb der klassischen Leitungsvermittlung im Festnetz und Mobilfunk, mit der Vorratsdatenspeicherung der START- und STOPP-Datensätze (DR) einer Verbindung im grundsätzlichen Focus.
Sieht jemand sichere Möglichkeiten bzw. technisch praktikable Konzeptansätze, wie für eine umzusetzende Vorratsdatenspeicherung (Sprache, Daten, Internet, eMail, etc.) eine Totalarchivierung der gesamten Telekommunikation via IP-Traffic (VoIP, Downloads -> die Urhebervertreter warten schon, IPTV-Nutzung, usw.) für den Zeitraum von x-Monaten abgewendet werden könnte.

Nachdem die Juristen hier im Forum haben durchblicken lassen, wohin eine solche formale Entwicklung führen wird, möchte ich als Auslöser dieses Aspektes wieder auf die technische Ebene zurückkommen.
Mit geht es darum auszuloten, wie für eine Vorratsdatenspeicherung in IP-Netzen strukturell sichergestellt werden kann, wie in jedem IP-Paket der Header oder die Headerebenen (z.B. TCP/UDP bis hin zu Ethernetframes) von den eigentlichen Nutzdaten abgrenzbar werden und somit nur Headerinformationen sequentiell in Echtzeit anzuspeichern wären.
Wird diese Forderung z.B. bei unterschiedlichen Datenpaketlängen nicht gelöst, dann werden in der Vorratsdatenspeicherung auch Nutzerinformationen enthalten sein. Um mit den Headern (incl. variable Informationen zum Nutzdatenumfang) später überhaupt etwas Sinnvolles (Aufschlüsse über die "beobachtete" Kommunikationsbeziehungen) anfangen zu können, muss natürlich ein Konzept gefunden werden, wie nur die Header sämtlicher zu speicherden IP-Pakete "alleine" zu archivieren wären.

Wird die Diskussion hinsichtlich der Offenlegung von Kryptoschlüsseln in England (auch als EU-Mitglied) betrachtet, http://www.heise.de/newsticker/meldung/73301
so stellt die die berechtigte bzw. zu befürchtende Frage nach der künftig allgemeinen Zulässigkeit einer verschlüsselten IP-Übertragung, via VPN-Tunel, IPsec, 3DNS, etc. Unabhängig von juristischen Aspekten wird doch wohl jedem klar werden, das verschlüsselte IP-Pakete komplett in der Vorratsdatenspeicherung hinterlegt werden. Einerseits weil eine logische Abtrennung der gekapselten Nutzdaten gar nicht möglich ist (denn dann hätte der Krypto-Schlüssel versagt) und andereseits, weil in den verschlüsselten Nutzdaten möglicherweise strafrechtlich relevante Informationen vermutet werden, die für weitere Indizien oder eine spätere Beweisführung interessant erscheinen. Das wiederum wird die "offiziellen" Anstrengungen erhöhen, gerade verschlüsselte und über die Vorratsdatenspeicherung hinterlegte IP-Pakete möglichst zeitnah doch noch" knacken" zu können. (Der Appetit kommt mit dem Essen; oder formal korrekt "abgeholte" Vorratsdaten sind ohne direkte Einsichtnahme immer eine besondere Herausforderung)
Spätestens hier müssten sämtliche geschäftliche TK-Anwender aufheulen, weil im Sinne einer nie ganz auszuschließenden Wirtschaftsspionage die über eine Vorratsdatenspreicherung auch an andere Stellen (jeder involvierte Netzbetreiber!) ausgelagerten Geschäftsvorgänge, die heute zumeist im Eigeninteresse verschlüsselt werden (eMail, VoIP, FTP, etc.) , von Dritten dort abgreifbar (kopierbar) würen, ohne das der eigenliche Datenverantwortliche bzw. geschäftliche TK-Nutzer irgend etwas davon mitbekommt.

Es war nicht so gewollt, es ergab sich einfach so! Durch die EU-Frist sollten solche Grundsatzfragen so schnell wie möglich angesprochen und diskutiert werden.
 
AW: Führt eine IP-Vorratsdatenspeicherung zum Überwachungsstaat

GRUNDSATZURTEIL

Rasterfahndung bekommt enge Grenzen


http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,417630,00.html

......
Die gerichtlichen Anordnungen verstießen nach der jetzt ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht. Nur wenn im konkreten Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass "in absehbarer Zeit" terroristische Anschläge durchgeführt werden, sei der Einsatz der Rasterfahndung verhältnismäßig. ......

Die Karlsruher Verfassungsrichter betonten, dass es sich bei der Rasterfahndung um Ermittlungen ohne Verdacht handelt. Nicht nur die Daten von Einwohnermeldeämtern und Ausländerbehörden könnten erhoben werden, auch private Dateien dürften mit staatlichen kombiniert werden. Die Betroffenen müssten davon nichts erfahren.

Das seien schwerwiegende Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte, die nur bei einer konkreten Gefahr für hochrangige Rechtsgüter gerechtfertigt seien. Als "Vorfeldermittlung" zur Gefahrenerforschung sei der Einsatz der Rasterfahndung unverhältnismäßig.

Vorratsspeicherung ist natürlich noch nicht gleich Rasterfahndung ..... aber das BVerfG wird auch hier wohl ein gewichtiges Wörtchen mitreden!
 
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